1861 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Antike
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Xi. Die Römer.
zu ermüden, während Scipio unablässig thütig war, überall selbst theil«
nehmend, und das Werk der grausamen Vernichtung leitend, bis er ab-
gespannt und entkräftet niedersank, und von der Höhe herab den Schau-
platz der Zerstörung überblickte.
Da erschienen vor ihm am siebenten Tage Abgeordnete aus der
Burg, und baten um freien Abzug für die, welche Byrsa verlassen woll-
ten; denn, obgleich Hasdrubal noch an rcichbesetztcr Tafel schwelgte und
die annehmlichen Bedingungen, welche ihm Scipio anbieten ließ, wenn
er die Burg auslieferte, mit Verachtung zurückwies, so ließ doch der
immer drückender werdende Mangel voraussehen, daß man sich nicht
lange mehr würde halten können. Scipio gewährte ihnen die Bitte;
nur die Ueberläufcr nahm er aus. Diese, etwa. 900 an der Zahl,
flohen mit Hasdrubal und dessen Familie in den Tempel des Aesculap,
während die Bewohner Byrsa's, und die Uebrigen, welche sich dahin
gerettet hatten, nicht weniger als 50,000, sich der Großmuth des Sie-
gers überließen, und einstweilen in Gewahrsam genommen wurden.
Hasdrubal vertheidigte sich mit seiner kleinen Schaar eine geraume Zeit,
da der Tempel ans dem höchsten Felsengipfel lag. Als aber Hunger,
Schlaflosigkeit und fortwährende Anstrengung die Kräfte der Besatzung
aufgerieben hatte, floh er heimlich aus dem Tempel, und flehte fußfäl-
lig den römischen Fcldherrn um Gnade an. Scipio zeigte den Treu-
losen der verlassenen Schaar, welche nach Ausstoßung fürchterlicher
Schmähungen gegen den Despoten den Tempel in Brand steckte. Als
Hasdrubal's Gattin die Flamme erblickte, trat sie mit ihren beiden
Kindern an die Zinne des Tempels, spottete mit bitterem Hohne ihres
verrätherischen Gatten, tödtete darauf die Knaben und stürzte sich mit
ihnen in die lodernde Glut.
Bei dem erschütternden Anblick der theils noch brennenden, theils
in Trümmern und Schutthaufen vor ihm liegenden Stadt, entströmten
Thränen des Mitleids und jener heiligen Wehmuth, die jedes bessere
Gemüth bei solcher Gelegenheit bewegt, den Augen des Edelsten aller
Römer, und der Vergänglichkeit aller irdischen Macht und Hoheit ge-
denkend, sprach er, den sinnenden Blick starr vor sich hingewandt: „Einst
wird kommen der Tag, da die heilige Ilios hinsinkt, Priamos selbst
und das Volk des lanzenkundigen Königs." (Homer, Ilias Iv, 165.)
Polybins, sein Freund, der, neben ihm stehend, fragte, welche Deutung
er diesen Worten gebe, vernahm als Weissagung aus seinem Munde,
was die Geschichte laut verkündet hat: den Untergang der Römerstadt.
Hierauf ward dem Heere einige Tage lang Ertaubniß zur Plünde-
rung dessen gegeben, was die Flamme verschont hatte; nur alles Gold
und Silber und die Weihgeschenke der Tempel wurden nach Rom ge-
schickt. Unbeschreiblich war die Freude, welche die Nachricht von Car-
thago's Zerstörung in Rom verbreitete. Es wurden sogleich zehn Se-
natoren nach Afrika geschickt, die in Gemeinschaft mit Scipio die
Einrichtung der neuen Provinz besorgen mußten, welche Jahrhunderte
hindurch eine der Hauptstützen des römischen Weltreichs sein sollte. Die