1869 -
Heidelberg
: Weiß
- Autor: Riegel, Ed.
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Schülerbuch
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
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Außer den Unfreien gab es noch Leibeigne oder Knechte, die als Sclaven
behandelt wurden. Dies waren die Kriegsgefangenen oder solche Freie, die
durch leidenschaftliches Spiel oder durch Schulden ihre Freiheit verloren halten.
Die Sclaven waren unbeschränktes Eigenthum des Hofherrn, so. daß er sie
verkaufen, verschenken oder todten konnte. Im Allgemeinen wurden sie jedoch
uüld behandelt und konnten sich durch Ersparnisse loskaufen und in die Reihe
der Freigelassenen eintreten.
Einzelne Volksstämme ver alten Deutschen hatten Könige. Sie wurden
aus den edlen Geschlechtern gewählt. Doch war die Macht der Könige nicht
unumschränkt; in allen wichtigen Angelegenheiten blieb die Entscheidung der
Volksversammlung. Jeder freie Mann war Mitglied dieser Versammlung.
Alle erschienen dabei bewaffnet. Die Verhandlungen geschahen gewöhnlich am
Neu- oder Vollmond an einem geweihten Orte, unter einer heiligen Eiche oder
Linde. Kurz und bündig wurde besprochen, was zu thun oder zu lassen sei.
Mißfielen die Vorschläge, so gab die Versammlung dies durch lautes Ge-
murmel zu erkennen; fanden sie aber Beifall, so schlug man zum Zeichen der
Zustimmung die Waffen zusammen.
5. Körperliche Beschaffenheit, Tugenden und Untugenden
der alten Deutschen.
Die Römer schilderten die alten Deutschen als große, kräftige Gestalten
mit blauen Augen und blonden Haaren, und rühmten ihre Treue und Recht-
schaffenheit, ihre Gastfreundschaft und ihre große Liebe und Anhänglichkeit
zum Vaterland. Gesetzbücher gab es damals nicht; die Ordnung wurde nach
altem Herkommen aufrecht erhalten. Ihr einfaches Wort galt mehr als
Eidschwur.
Ein römischer Schriftsteller der damaligen Zeit sagt von ihnen: „Bei den
Germanen vermögen gute Sitten mehr, als anderswo gute Gesetze. Sie
halten es für Unrecht, einem Menschen ein Obdach zu verweigern, und be-
wirthen Jeden nach Vermögen mit einem einfachen Mahle. Besitzen sie aber
selbst Nichts, so suchen sie das nächste Haus aus und geleiten den Fremden
dahin, wo er mit gleicher Freundlichkeit wie ein alter lieber Bekannter auf-
genommen wird. Verläßt der Gastfreund das Haus, so geben sie ihm mit,
was er verlangt; denn auch sie nehmen gerne Geschenke an, ohne sich deß-
wegen zu Gegendiensten verpflichtet zu fühlen."
Doch hatten die alten Deutschen auch ihre Fehler, und mit Recht werfen
ihnen die Römer Liebe zum Trunk und zum Spiele vor. Sie hielten es für
keine Schande, Tag und Nacht bei Trinkgelagen zuzubringen. Dabei geschah
es nicht selten, daß Zank und Streit entstand, der oft mit blutigem Mord
endete. — Nicht minder leidenschaftlich wie dem Trünke waren sie dem Würfel-
spiel ergeben. Wunderbarer Weise trieben sie es nüchtern wie ein ernstes Ge-
schäft. Nicht selten verloren sie Hab und Gut und setzten zuletzt selbst Leben
und Freiheit ein. Ohne Murren und Klagen ging dann der Verlierende in
die freiwillige Knechtschaft und ließ sich ruhig binden und verkaufen.
6. Die altdeutschen Frauen.
Die Frauen standen bei den alten Deutschen hoch in Ehren. Das deutsche
Mädchen erbte von seinem Vater die Kraft, von seiner Mutter die Milde.
Es nahm Theil an den Spielen und Uebungen der Knaben und erlangte so