1855 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Schacht, Theodor
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Mittel-Europa.
großen Steinen gegen die Gewalt des Windes beschwert. Der Hirt oder Senn
ist wenigstens darin geschützt, kann sein Vieh melken und die Milch handhaben,
oder mit andern Worten, seine Alpenwirthschaft treiben. Die Sennen sind großen-
theils arme Leute, ihre Nahrung Milch oder Rahm, Käsmilch und Zieger, selten
noch grobes Brod. Dabei sind sie kräftig u. heiter, Bergluft erhält frisch. Selten
besorgen sie eigne Heerden, u. noch seltner aus eigner Alpe (oder Alme, wie man
in Tyrol sagt); gewöhnlich werden sie von Besitzern der Alpenplätze hinauf ge-
schickt, oder pachten eine Alpe und oft die Kühe dazu.
Erfreulich ist der Anblick einer Ausfahrt ans die Alpen, d. h. der Aus-
zug einer Heerde, wenn sie im Beginn des Sommers auf die Berge geht. Hirt
und Heerde sind voll Lust. Es ist, als wüßten es die Kühe, so jubelnd verlassen
sie ihr Dorf, und so munter steigen, ja klettern sie bergan, wenn auch der Weg
mühsam ist. Dabei hat der ganze Zug gewisse Ordnung, und an Putz u. Jubel
fehlt es nicht. Im Appeuzellerland am Säutis geschieht es so: Der Senn mit
sauberm Melkeimer ans der Achsel und mit Bändern geschmückt, eröffnet den Zug,
der Hund zur Seile, einige weiße Ziegen vorauf. Daun folgen drei Kühe, die
schönsten der Heerde, mit mächtig großen Glocken am Halse. Hinter ihnen kommt
der Handbub als Gehülfe des Senn, auch mit sauberm Melkeimer und führt die
ganze Kühheerde, deren Reihe der Stier (Munni) mit einbeinigem Melkstuhl auf
den Hörnern beschließt. Alles Vieh trägt Glocken, oft in harmonischem Geläut.
Damit nichts von der Heerde sich verläuft, kommt ein Knecht hiutennach, und
erst Tags drauf wird aus der Ortschaft das nöthige Geräth, als hölzerne Milch-
kummen oder Zuber, der kupferne Käskessel und dergleichen, ans einem Saumrosse
zur Sennhütte geschickt. Butter wird droben wenig gemacht; Käserei ist das
Hauptgeschäft, und wird im Großen getrieben. Die kleinsten Schweizerkäse wiegen
an 40, die größten an 100 Pfd., und Tag für Tag wird in jeder Sennhütte ein
solcher Käs gefertigt, wozu man sämmtliche am gleichen Morgen und Abends
vorher gemolkene Milch nimmt. Man verfährt so: Der große an einem Krähn
hängende Kessel wird übers Feuer gerückt. Die laulich gewordene Milch bringt
man durch ein Stück Laab (gedörrter und gegohrner Kalbsmagen) zum Gerinnen,
und rührt so lauge, bis die Zersetzung der Milch fertig ist. Daun wird mit
einem großen Leintuch der fette Kästeich herausgehoben und in die platte runde
Form gethan, worin er bis zum folgenden Tag liege» bleibt, um dann im Käs-
speicher zur völligen Austrocknung aufgestapelt zu werden. Ans dem übrig blei-
benden Käswasser (Molken) scheidet man nochmals eine magere Käsmaffe, Zieger
genannt, die der Senn zur Nahrung gebraucht. An einigen Orten versteht man
solchen Zieger durch Einmischung gedörrten und gepülverten Alpenklees gar-
schmackhaft und wohlriechend zu machen, besonders im Glarner Land, dessen grü-
ner Kränterkäs (Schabzieger) im Auslande sehr beliebt ist. Die ganze Ver°
fahrungsart ist interessant anzusehen, aber vielleicht noch mehr die ganze Lebens-
weise von Menschen und Vieh auf einer Alp. Jede Kuh kennt ihre Glocke und ihren
Namen, und Kühe und Ziegen verstehen den Ruf ihres Senn. Man nennt die we-
nigen auf- und absteigenden Töne der Melodie, die der Senn gewöhnlich zu singezr
pflegt oder auf einer Schalmai bläst, den Kuhreigen. Er klingt im Gebirg