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1. Lehrbuch der Geographie alter und neuer Zeit - S. 218

1855 - Mainz : Kunze
216 Mittel-Europa. deutsche Volk wäre ihnen mit Leib und Seele zugefallen. Das geschah leider nicht. Den Werth der großen Neuerung verkennend, wandten sie wie mit Ab- scheu sich von ihr weg, und stemmten sich, als wäre nur das Abgelebte des Mittelalters ihre eigentliche Lebens- und Regierungssphäre, dem Neuen, das sich Bahn machte, mit Verordnungen und mit Gewalt, zuweilen in grausamer Art, entgegen*). Schon längst keine Mehrer des Reichs nach Außen, verschinähten sie auch, Mehrer des Reichs nach Innen, Mehrer der geistigen und politischen Nationalentwicklung, zu sein; wobei zugleich ihr eignes gutes östreichisches Volk in etue Richtung gerieth, die von den Fortschritten der Bildung im größten Theile des übrigen Deutschlands sich beträchtlich entfernen mußte. Sie stifteten gleichsam einen Sonderbund gegen sich selbst und rissen dadurch breit und tief einen Spalt in die deutsche Nation, der schwer zu schließen war und die vorher noch mögliche Herstellung alter Einheit fast unmöglich gemacht hat. Erst Maria Theresia's Sohn Joseph Ii. (der Lothringer) sah die Fehler der Vorgänger ein und dachte darauf, die nothwendige Aussöhnung mit dem deutschen Geiste anzubahnen. Rasch zu Werk gehend schritt er über jenen unseligen Sonderbund hinaus und öffnete seine Erbstaaten der Bildung und Toleranz des 18. Jahrhunderts. Was dies gewirkt, trotz wiederholter Hemmungen, das ist in vielen Dingen sichtbar ge- worden, vor allen in unserer neuesten deutschen Literatur; auch Oestreicher, meist Wiener, traten endlich ein, und gewiß nicht unrühmlich, wie die Namen darthun: Sonnenfels, Blumaner, Schröckh, Alxinger, Collin, Hormahr, Hammer, die Erz- herzoge Karl u. Johann, Grillparzer, Frau Pichler, Kurz, Chmel, Zedlitz, Duller, Burg, Auersperg, Prokesch, Schwarzenberg, Stifter, Schuselka u. a. m. Auch die Erschütterung des Jahrs 1848, ein außerordentliches Ereigniß in der Geschichte Wiens und des Kaiserstaates, ist eine Folge davon und wird, was Joseph ge- wünscht, früher oder später befördern helfen. Aber noch Eins ist zu beachten. Wien und Berlin, die Hauptorte der zwei mächtigsten Staaten Deutschlands, sind beide in Marken erwachsen, die ausdrück- lich nur zum Schutze gegen Osten angelegt wurden. Dies ist eine höchst wichtige Bestimmung, die fast vergessen zu sein scheint. Die heidnischen Völker, mit denen mau vor 8 u. 9 Jahrhunderten zu thun gehabt, drohen freilich nicht mehr, aber ist die russische planmäßig vordringende Macht nicht viel furchtbarer und gefährlicher? Wer den Westen fürchtet, täuscht sich; Deutschlands verwundbarste Seite ist im Osten. — *) Den Lehrern sei überlassen, dies im Text nur Angedeutete zu erklären, weiter auszuführen, auch gegentheilige Ansichten daniit zu vergleichen. Das Neue hat natürlich auch eine Schattenseite, wie das Alte seine Lichtseite. Beide Seiten richtig zu erkennen, verlangt allerdings eine gewisse Reife des Urtheils. Soviel kann jedoch die Jugend, der dies Lehrbuch bestimmt ist, schon früher einsehen, daß blindes Hängen am Hergebrachten, und Kampf gegen das Neue aus bloßer Geistesträgheit, überall schädliche Folgen hat, und um so mehr, je größer der Gegenstand und je größer der Umfang seines Bereichs ist, vorzüglich auf politi- schem Gebiete, wo das Wohl des Vaterlandes dabei auf dem Spiele steht.
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