1855 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Schacht, Theodor
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Asien — Vorder-Jndien.
Kriegsvolk aus Europa hinüber senden konnten, war nie von großer Bedeutung.
Ja nicht einmal das brittische Reich, sondern eine bloße Handelsgesellschaft, die
oft indische Kompanie, war es, von der die großen Erwerbungen, freilich
gar bald mit Hülfe brittischer Regimenter, Generale und Staatsmänner, aus-
gingen. Und dennoch herrscht England jetzt in Asien über ein Reich von 150
Mill. Menschen, und zwar so, daß die eingebornen Völker nicht eben grollend
ihren europäischen Herrn gegenüberstehen, und selbst der Menschenfreund, dem
Unterjochungen durch Fremde ein Greuel sind, sagen muß: Hier sei einmal ein
Eroberungssystem durchgeführt worden, das den Unterworfenen zur Wohlfahrt
gereiche.
Der Hauptgrund davon liegt in der politischen und religiösen Denkart der
brittischen Nation. Bloße Klugheit ohne überlegene Kriegsheere hätte so Großes
nicht vermocht. Den Portugiesen oder Spaniern, selbst von Männern wie
Cortez und Albuquerque geführt, wäre es nie gelungen, denn sie hätten nur
Despotism und Religionshaß mit sich gebracht. Die Britten dagegen. an freie
bürgerliche Einrichtungen und religiöse Duldung gewöhnt, tasteten die Bräuche
und Regiernngsformen der einmal Bezwungenen nicht an; im Gegentheil brachten
sie den so oft unterjochten und,niedergetretenen Völkern Schutz gegen Willkühr,
Sicherheit auf den Straßen, Belebung der Gewerbe, und zuletzt sogar die Mög-
lichkeit einer neuen mit europäischer Bildung verwandten Entwickelung. Dabei
wurden freilich, sobald sie bei günstigen Anlässen ihre anfänglichen Handelszwecke
zu politischen erweiterten, diplomatische Ränke so wenig wie Gewaltschritte ge-
spart, aber die Völker waren erstaunt, in ihnen Sieger zu sehen, denen der
höhnende Uebermntb. die ungesättigte Raubsucht, die gegen Nationalheiligthümer
sich richtende intolerante Wuth moslemischer Eroberer fremd war. Friede
waltet jetzt vom Himalaya bis Ceylon, der ungestörtere Verkehr weckt die
Thätigkeit des Volks, und wie man rhu zu Lande nordwestwärts in die inner-
asiatischen Länder auszudehnen sucht, so sind 5000 einheimische Fahrzeuge mit dem
Seehandel beschäftigt. Nicht blos auf dem Ganges, auch ans dem Indus,
seit der Britte Burnes diesen Strom in 60 Tagen bis Lahore hinauf und in
15 Tagen abwärts fuhr, lassen sich Dampfboote sehen. Die Landstraßen,
woran es bisher sehr gebrach, werden allmählig vermehrt, und selbst an Eisen-
bahnen zu denken hat die Entdeckung von Steinkohlenlagern möglich gemacht.
Die brittische Kriegsmacht in Indien ist allerdings, da man vieler von
einander entfernter Garnisonen bedarf, sehr bedeutend (nämlich 250000 M.),
allein sie besteht größtentheils (nur 35000 sind Europäer) aus Eingebornen,
einerlei ob sie den Schiwa oder den Allah anrufen, und nur die hohen Offizier-
grade haben sich die Britten vorbehalten; Subalternoffiziere und Aerzte werden
meistens aus den Indiern genommen. So helfen diese selbst den Ausländern
ihre Siege erfechten, und obwohl dadurch kriegerischer gewöhnt, denken sie nicht
daran, ihre siebenfach überlegene Zahl gegen ihre Beherrscher zu wenden*).
*) Von den 215000 Mann indischer Truppen sind V, regelmäßige oder
Seapoys, die übrigen sind ungeregelt.