1855 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Schacht, Theodor
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Frankreich — das Volk.
sind völlig einheimisch und französirt. Selbst die Deutschen im Elsaß und Loth-
ringen rc. (etwa V/2 Mill.) entfremden sich ihrer Herkunft von Jahr zu Jahr immer
mehr, und nur die Korsen (200000) bleiben Italiener auf ihrer abgeschlossenen
Insel. — Zur protestantischen Kirche gehören 4 Mill.; also über 7/8 des ganzen
Volks sind römisch-katholisch, unter 14 Erz - und 66 Bischöfen. Unter Louis Xiv.
betrug die Bevölkerung nur 18 Mill. und unter Bonaparte's Consular 27 Mill.
Frankreich ist nicht wie Britannien von andern Ländern abgesondert, nicht
einmal so wie Spanien, dennoch haben die Franzosen ihren eignen stark kennt-
lichen Volkscharakter, und es ist inerkwürdig, die Grundzüge desselben schon in
der altceltischen Geschichte wahrzunehmen. Den Römern erschien der Gallier als
lebhaft, rasch auflodernd in Liebe und Zorn, doch unschwer zu besänftigen, ver-
änderlich in seinen Neigungen, gar nenernngssüchtig; ren,m novarum cupidissimi,
heißen sie beim Cäsar. Tapferkeit gestand man den Galliern zu, vor allen war
ihr Angriff hitzig und stürmisch, im Unglück aber zeigten sie mindere Ausdauer.
Dies Celtische sticht in ihrem Naturell noch jetzt hervor, obgleich sich römisches
und deutsches Blut beigemischt und die Kultur vieler Jahrhunderte auf sie ein-
gewirkt hat. Es ist ein ausgezeichnetes Volk, mit gewissen Eigenschaften begabt,
die es unter den Europäern besonders anziehend machen, und die man sogar
liebenswürdig nennen könnte, wenn sie nicht von andern Eigenschaften begleitet
wären, die keineswegs liebenswürdig sind. Schon die Sprache der Franzosen,
die fließendste unter allen romanischen, hat etwas Einnehmendes, mehr noch ihr
muntrer leichter Sinn, der nur zu oft frivol wird, ihr Witz, ihre Politesse und
Unterhaltungsgabe. Für's gesellige Leben sind sie wie geschaffen; grade deshalb
stellen sie aber das äußere Erscheinen, die äußere Ehre zu hoch, und sind gegen
nichts empfindlicher als gegen die Pfeile des Lächerlichen; ein don inot geht ihnen
leicht über eine Wahrheit. Wie der Franzos fein zu schmeicheln versteht, so will
auch die Nation als solche geschmeichelt sein, und man sagt nicht zuviel, wenn
man ihr ein Uebermaß von Eitelkeit, eine gränzenlose Selbstschätznng vorwirft.
Löblich ist ihre praktische Anstelligkeit, ihre Thatkraft, doch sind sie häufig zu rasch
im Entschließen und Unternehmen, ungleich uns Deutschen, die ruhiger überlegen,
aber oft zu lange zaudern und noch berathen, wenn längst gehandelt sein sollte.
Ueberhaupt sucht der lebensfrohe Franzos, was er denkt, auch schnell ans Leben zu
knüpfen , während der Deutsche gern in der Welt der Ideen und Phantasien verweilt,
und im gelehrten Suchen wie im Erörtern von Begriffen sich nicht genng thun kann.
Scharfsinn, logisch tabellarisches Abtheilen, geistreiche Wendungen, Klarheit
und Eleganz im Ausdruck siud Vorzüge der französischeu Literatur, aber an Ge-
diegenheit steht sie der englischen, an Tiefe der deutschen nach. Der Franzos ist
mehr räsonnirend als philosophirend, mehr Memoiren- als Geschichtschreiber,
mehr Redner als Dichter; aber auch in der Beredsamkeit tritt der Charakter des
witzigen und sprechlustigen Volkes hervor. Wo sie wortreich, ist der Engländer
gehaltvoll; in parlamentarischen Angriffen verschießt der Franzos die buntge-
fiedertsten Pfeile, während der Engländer gedankenschwere Keulenschläge aus-
theilt. Ihre Dichter haben geglättete Formen, rhetorische Schönheiten, witzige
Pointen, ja Voltaire's Ironie, Moliere's Comik, Lafontaine's zierliche Naivetät,