1855 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Schacht, Theodor
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
550
Deutscher Bund — Geschichte.
loten, und was übrig blieb, wechselte seine bunt verschlungenen innern Gränzen
fortwährend. Manchem Fürsten glückte es, für eingebüßte Besitzungen ans Un-
kosten andrer, namentlich der Geistlichen, deren weltliche Herrschaft gänzlich ver-
schwand, entschädigt zu werden; und manche, um Deutschland weniger als um
eignen Vortheil bekümmert, schlossen sich mit völliger Hingebung dem siegenden
Feinde gegen die eignen Landsleute an. Gleich den Prälaten verloren fast alle
Reichsstädte ihre Selbständigkeit, und eine Menge kleiner Fürsten, Grafen und
Reichsritter wurden mediatisirt oder mittelbar gemacht, d. h. unter Landes-
hoheit andrer Fürsten gestellt. Der ganze Reichsverband löste sich zuletzt auf und
machte unter Napoleons Protection einem Rheinbünde Platz, worin jeder
Fürst ein souveräner hieß und alle aus alter Zeit noch übrigen landständischen
Rechte nach Belieben abschaffen konnte. Preußen ward dabei halb zertrümmert,
das eben so gedemüthigte Oestreich an Umfang stark beschnitten, während Baiern
sich mit mehr als doppelter Vergrößerung belohnt sah. Alle Genossen Napoleons
waren indeß zum Gehorsam verpflichtet, und der fürchterlichste Druck lastete
überall. Deutschland lag somit in der tiefsten Erniedrigung, und sieben leiden-
volle Jahre hindurch, bis endlich, nach Napoleons ungeheurem Verlust ans
Rußlands Schneefeldern, sich 1813 die Kraft unsrer Nation, Preußen voran,
gegen das französische Joch ermannte und das Vaterland siegreich befreite. Es
wird dies ewig ein Glanzpunkt in der deutschen Geschichte bleiben, und
auch insofern bedeutend, als das Abwerfen der Fremdherrschaft die Sehnsucht
verstärkte nach Befreiung von der innern politischen Zerspaltung und
Unmündigkeit, als der Ursache der erlittenen Unfälle.
Dies sprach sich gleich nach dem Ende der Befreiungskriege lebhaft und in
den mannigfaltigsten Ansichten aus. Besonders ward Sicherheit im Innern
gegen jegliche Willkühr, so wie den europäischen Staaten gegenüber die
Herstellung Deutschlands als einer geschlossenen Macht gewünscht;
und da man überdem auf Erfüllung gemachter Zusagen rechnen durfte, so war
alles voll Hoffnung auf den Wiener Congreß. *)
Die Weltgeschichte zeigt, daß selten die Früchte großer Ereignisse so schnell
reifen, als die Ungeduld der Mitlebenden es erwartet. So ward auch den
Deutschen nur ein Stück von dem zu Theil, was sie schon ganz errungen wähn-
ten. Denn, nachdem man des Reichs Gränzen nur unvollkommen hergestellt,
das Elsaß bei Frankreich belassen, Belgien sogar an Holland vergabt, und Na-
poleons Länderschenkungen in Deutschland anerkannt, wurde statt des ehmaligen
Reichsverbandes nur ein Staatenbund errichtet, nur zur Erhaltung des äußern
und innern Friedens. Die Bnndesbehörde ward aus oen Gesandten sämmtlicher
*) Auch der Verfasser hoffte damals (in seiner Schrift: der Schneidewall,
em freies Gespräch über uns, 1814) auf einen Bundesstaat, unter jährlich
wechselndem Vorsitze Preußen« und Oestreichs, mit einem Parlament, bestehend
aus dem Fürstenhause und dem Hause der Repräsentanten. Er sah nämlich darin
eine Annäherung an das Staatsgebäude Großbrittaniens, das er noch jetzt für
das vortrefflichste Erzeugniß der praktischen Politik einer großen Nation hält.