1858 -
Osnabrück
: Rackhorst
- Hrsg.: Lansing, Franz, ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Pflanzcnwuchses, der uns nach längerer Entbehrung erst recht
entzückt, das freundliche Städtchen (Ragatz, wo der berühmte
deutsche Philosoph Schelling, gest. 1854, begraben liegt), die
dunkelblauen Felsen über dem Strom, die Ruinen auf frisch be-
grünten Hügeln und die tiefen Farben der Abendluft könnten
uns vollständig befriedigen, wenn nicht der fchlammfarbige Rhein
zerstörungssüchtig sich mit seinem Geröll weit und breit umgürtet
und das Grüne von dem Grünen durch eine steinige Oede ge-
schieden hätte.
Im Ragatzer Hof, der eine kleine Stadt für sich vorstellt,
war es noch ziemlich lebhaft, obgleich die Saison sich ihrem Ende
zuneigte; am andern Morgen füllte sich die Post vollständig mit
abziehenden Gästen, die sämmtlich den Weg über den Wallen-
städter See nach Zürich einschlugen. Wir allein blieben dem
Rhein getreu und fuhren hinein in die grüne Pracht des St.
Galler und Appenzeller Landes. Es war ein duftiger Morgen,
der Himmel tief dunkelblau und die Berge umspielt von blen-
dendem Wolkendampf, der uns zur Rechten und zur Linken ge-
waltige mit Schnee gezierte Bergzacken bald enthüllte, bald
verschleierte z. B. links die Sentiswand (7700'), während rechts
auf dem Saum des sonnigen Rheinthals mit feinem Obstrevier
die hohen schirmenden Bergwände des kleinsten deutschen Fürsten-
thums Liechtenstein ihre blauen Schatten warfen.
Das ganze St. Galler Land ist nur ein großer Garten,
und hoch oben auf dem Postwagen müssen wir uns der belaste-
ten Zweige wehren, die, mit Aepfeln und Birnen schwer behän-
gen, uns mit ihren Schlägen derb begrüßen. Höfe, Ortschaften,
Dörfer, Städtchen folgen sich in dem wohlangebauten, fleißigen
Lande. Wir schauen hinein in das obere Stockwerk der säubern
Häuser, deren Außenwände mit hölzernen Schuppenziegeln bekleidet
sind, und überall vor dem trommelartig ausgefpannten Musse-
lin, im Erdgeschoß, im obern Stock, im bunten Blumengärtchen,
im Schatten der Scheune oder unter dem Nußbaum im Freien
sitzen Kinder und Erwachsene, Frauen und selbst Männer am
Stickrahmen und schaffen mit ihrer Nadel die Muster in den
klaren Baumwollenstoff zu Vorhängen und luftigen Sommerklei-
dern. So geht es ohne Unterbrechung fort, bis die hohen, zacki-
gen Gipfel allmählich sich abrunden und die Berge dann in
sanfte Hügelwellen sich senken, bis jetzt vor uns ein niederer
Horizont sich öffnet, der hinter seinen buschigen Grenzen die Fläche
des schwäbischen Meeres (Bodensees) verräth.
Theilweisk nach der Allgem. Zeitung.