1858 -
Osnabrück
: Rackhorst
- Hrsg.: Lansing, Franz, ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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von hier strahlenförmig dem Prado zulaufen. Prado — von
pratum die Wiese, wovon auch der Prater bei Wien seinen
Namen hat — heißt hier der Hauptspazierplatz, der in fast allen
übrigen Städten Spaniens Alameda genannt wird. — An der
Puerta del Sol concentriert sich der Herzschlag der Stadt: hier
ist die Hauptwache, hier beginnt eine Reihe eleganter Mieth-
wagen, hier stehen zahlreiche Aguadoren (Wasserhändler) mit ihren
blanken messingenen Wassertischchen und rufen ihr „agua“ (Was-
ser), hier steht vor allein eine Schaar Pflastertreter, Langweiler
und Bummler. Abends, wenn die Zeit der Prado - Promenade
gekommen ist, strömt hier die schöne und die elegante Welt vor-
über; durch die breite Alcalastraße, eine der schönsten der Welt,
gelangen wir an die achtfache Allee des Prado.
Wie es in Frankreich heißt: „Paris ist Frankreich," so sagt
man hier sehr bezeichnend: „der Prado ist Madrid." Wenn die
heißen Strahlen der Sonne verglommen sind, so eilt alle Welt
zum Prado, selbst die Kinder nicht ausgenommen. Der mittlere
Weg ist für die Wagen Vorbehalten, die iin Schritt beständig
auf dem kleinen Raum auf- und abfahren und nach den Spa-
zierengehenden schauen. Reiter galoppieren dazwischen, Dragoner
erhalten die Ordnung. Aber die elegantesten Damen von Ma-
drid sitzen dem eisernen Gitter entlang, welches die Fahrbahn
begrenzt, dieser den Rückern zuwendend und von den Strahlen
des Mondes weniger, als von 100 Gasflammen beleuchtet, die
über ihnen flammen. Hier drängen sich elegante Herren und
Damen in dichten Schaaren vorüber, schauend und beschaut. Auf
der entgegengesetzten Seite eine neue Reihe Sitzender und so
allmählich abnehmend in den Parallel-Alleen bis zu den fernen
Häusern, von denen die Buden der Aguadoren herüberleuchten.
In der Nähe dieser bewegt sich die Jugend, Mädchen tanzen
Ringelreihen, Knaben balgen sich und die kleinern fahren in nied-
lichen Wägelchen, von Schafen, Ziegen und Pudeln gezogen,
während um die Fontänen herum die allerkleinften in den Ar-
men der Ammen kreischen und jubeln. Die warme Sommernacht,
der klare Sternenhimmel, die reizend geputzten Frauen, das Ge-
flüster ringsumher, alles dieses macht einen bezaubernden Ein-
druck. Aber traurig ist der Gedanke, daß der größte Theil dieser
spanischen Jugend durchaus unfähig erscheint, etwas anders zu
thun, als sich elegant zu kleiden und von faden Dingen zu
plaudern. —
Madrid ist keine alte und keine neue Stadt; sie hat in
ihrer Bauart nichts charakterisch spanisches, sie könnte auch in
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