1862 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
Der Kaiser-Canal. Bevölkerung und Sprache der Chinesen. §. 19. 55
Noch mehr als die Ströme, dienen in China, statt der dort
nur seltenen Kunststraßen, die zahlreichen Canäle zum Transport
von Personen und Maaren; vor Allen bildet der größte derselben,
der Kaiser-Canal, die (250 M. lange) große Communications-
linie zwischen der Nordrcsidenz Peking und den meisten Provinzen
der Mitte und des Südens, und an ihm liegt die größte Zahl
der chinesischen Städte ersten Ranges dicht zusammengedrängt. Er
verbindet den untern Lauf aller bedeutenden nach Osten fließenden
Ströme Chinas zu dem großartigsten Fluß- und Canalsysteme, wel-
ches nur durch das nordamerikanische, den Lorenzo und Mississippi
umfassende, übertroffen wird.
Da der Kaiser-Canal auf angeschwemmtem Boden mittelst Anlage
von Dämmen (nicht durch Ausgrabung) in mehreren Jahrhunderten (seit
dem 7ten) hergestellt worden ist, so hat er mehr das Ansehen eines
riesenmäßigen Aquäducts, als eines Canales.
Bevölkerung.
Die Anzahl der Einwohner des chinesischen Reiches wird
nach einer sogenannten Zählung ') von 1852 ans 537 Mill. ange-
geben, wovon über 400 aus das eigentliche China allein kommen.
Ihre Sprache bildet einen Hauptzweig des sogenannten einsilbigen
Sprachenstammes, dessen charakteristische Merkmale: außerordentliche Ein-
fachheit, Armuth an Wortvorrath und Unveränderlichkeit der Wurzel-
laute gerade im Chinesischen am reinsten ausgeprägt und mit der streng-
sten Consequenz durchgesührt sind.
Aus den äußerst zahlreichen Dialekten der chinesischen Sprache (fast
jede Stadt hat ihren eigenen) hat sich schon in sehr frühen Zeiten eine im gan-
zen Reiche verbreitete edlere Umgangssprache (wie in Deutschland das Hoch-
deutsche) gebildet, welche nicht nur äußerst wohlklingend ist, sondern sich auch
durch feine Wendungen, gewählte Ausdrücke u. s. w. auszeichnet. Eine eigent-
liche Schriftsprache, sofern sie die Nachbildung unarticulirter Laute ist. gibt es
nicht, da man sich keiner phonetischen Zeichen (Buchstaben) bedient, sondern für
jedes Wort ein besonderes Zeichen ohne alle Beziehung zum Wortlaute hat. Es
konnte demnach jemand chinesische Schrift lesen, ohne die chinesische Sprache zu
verstehen. Die Anzahl der einsilbigen Grundwörter dieser Sprache ist ausfallend
gering (500), doch wird ihre Anzahl durch verschiedene Betonung (viererlei Ac-
cente) schon um mehr als aufs Doppelte (1200) gesteigert. Der weiter nöthige
Wortvorrath wurde durch Combinativnen auf eine eben so mannichfaltige als
sinnreiche Weise gewonnen. Die Anzahl der Schriftzeichen wird sehr verschieden
geschätzt (ans mindestens 25,000), doch reicht für den gewöhnlichen Gebrauch die
Kenutniß von 4000 bis 5000 Charakteren aus. — Ihre uns nur zum geringsten
Theile bekannte Literatur verbreitet sich fast über alle Zweige des Wissens
(namentlich Geschichte, Geographie, Statistik, Naturwissenschaften, Philosophie),
ihre Dichtungen zeichnen sich durch tiefen Sinn, gedankenreiche Kürze und einen
') Ueber die große Unzuverlässigkeit der chinesischen Angaben s. Petermann's
Mittheilungen, 1860, S. 394 f. Anm.