Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Theil 4 - S. 89

1880 - Stuttgart : Heitz
Rückzug der Franzosen aus Rußland. 89 Napoleon erhielt die Nachricht von einer Verschwörung, welche in Paris ein General Mallet entworfen habe, zugleich aber auch, daß sie gescheitert sei. Dennoch hielt er für nöthig, nach Paris zurückzueilen. Auf einem einfachen Schlitten, in Pelze gehüllt, reiste er, nur in Begleitung des Generals Caulaiucourt den Trümmern seines Heeres schnell voraus. Gräßlich war indessen das Elend seiner unglücklichen Soldaten. Nie hatte ein Heer ein ähnliches Unglück betroffen. Bleich wie Schatten, zum Theil durch Hunger und Kälte ohne Besinnung und Sprache, wandelten sie daher. Nur wenn der Ruf: Kosack! erscholl, setzte sich die gespenstergleiche Schaar in Trab. Des Nachts war an Wachtfeuer nur selten zu denken. Daher drängten sie sich zu zehn bis zwanzig, wie Thiere dicht aufeinander, um sich vor Kälte zu schützen. Solche Haufen wurden häufig am Morgen von den Russen todt gefunden. Aehnliche schauerliche Todteuversammlungen traf man des Morgens um die erloschenen Wachtfeuer. Hatten einige Holz gefunden und Feuer angemacht, so hockte eine Menge dieser Gestalten umher; mächtigt und suchte ihre beiden Kinder über den Strom zu retten. Aber eine große Eisscholle stieß dagegen, der Kahn schlug um und Mutter und Kinder fielen ins Wasser. In dem Augenblicke warf sich ein junger Artillerist in den Fluß, erreichte schwimmend das eine Kind und brachte es glücklich ans Ufer, während die Mutter und das andere Kind ihren Tod unter den Eisschollen fanden. Der brave Jüngling behielt die kleine Waise bei sich; aber ob er den Kleinen und sich selbst bis Frankreich gerettet habe, ist nicht bekannt. Eine der gräßlichsten Scenen ist folgende, die ein Augenzeuge erzählt. „Die schöne 25jäh= rige Frau eines französischen Obersten, die ihren Mann wenige Tage früher, ehe wir die Beresina erreichten, in einem Gefechte verloren hatte, hielt unweit der Brücke, die zu unserm Uebergange bestimmt war, nahe bei mir. Gleichgültig gegen alles, was um sie her vorging, schien sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Tochter, ein sehr schönes Kind von vier Jahren, das sie vor sich auf dem Pferde hatte, zu richten. Vergebens suchte sie mehrere Male die Brücke zu erreichen, wurde aber immer wieder zurückgedrängt. Dumpfe Verzweiflung schien ihr ganzes Wesen zu erfüllen; sie weinte nicht; starr waren ihre Augen bald zum Himmel, bald auf ihre Tochter gerichtet, und einmal vernahm ich die Worte: „0 Gott, wie bin ich so grenzenlos elend, daß ich nicht einmal beten kann!" Gleich darauf fiel ihr Pferd, von einer Kugel getroffen, und ihr selbst wurde von einer Kugel der linke Schenkel über dem Knie zerschmettert. Mit der Ruhe stiller Verzweiflung nahm sie ihr weinendes Kind, küßte es öfters, löste ihr mit Blut getränktes Strumpfband von dem zerschmetterten Beine und erwürgte das Kind damit. Hierauf schloß sie die kleine Leiche in die Arme, drückte sie fest an sich, legte sich neben ihr gefallenes Pferd und erwartete so, ohne einen Laut von sich zu geben, ihr Ende. Bald darauf wurde sie von den Pferden derer, die sich gegen die Brücke drängten, zertreten."
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer