1836 -
Leipzig
: Schumann
- Autor: Andree, Karl
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium, Realschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
52 Allgemeine Erdkunde.
§. 289. Sehr selten dauert der erste Stoß eine Minute
lang und oft sind wenige Secunden schon hinreichend, die furcht-
barsten Verwüstungen anzurichten. Oft folgen dem ersten Stoße
in Zwischenräumen mehre, die zuweilen Wochen lang anhalten. Ge-
wöhnlich öffnen sich tiefe Spalten und Erdschlünde, aus denen
Rauch und Feuer emporsteigt; auch werfen sie häufig Wasser aus.
Diese Erdspalten sind manchmal so groß, daß ganze Stadre von
ihnen verschlungen werden, wie das alte Euphemia im südlichen
Italien, und Port-Royal auf Jamaica.
§. 290. Daher verändern oftmals die Erdbeben, eben so wie
die Vulkane, die Ansicht einer ganzen Gegend. Inseln steigen aus
dem Wasser empor oder versinken, Flüsse graben sich ein anderes
Bett, das Meer tritt über seine Ufer, bildet neue Bayen und Bu-
sen, oder wirft Theile vom Festlande los und macht sie zu Inseln.
Bei einem Einbrüche des Meeres versank im Jahre 1746 die
alte Stadt Callao in Peru, ebenso 1755 Setubal in Portugal
mit einem großen Theile ihrer Bewohner.
§. 291. Am furchtbarsten äußern sich die Erdbeben an dem
Gestade des mittelländischen Meeres, des Antillenmeeres und des
mexicanischen Meerbusens. Auch in Peru und Mittel - Amerika
sind sie eben so häufig als verheerend und kommen überhaupt in
allen vulkanischen Gegenden vor. Das von 1755, welches sich über
einen großen Theil Europas, Afrikas und Amerikas verbreitete,
äußerte sich am gewaltigsten in Portugal; Setubal ward, wie bemerkt,
damals ganz vom Meere bedeckt, Lissabon fast ganz zerstört, viele
Städte in Nord-Afrika und Spanien litten großen Schaden, und
man spürte die Stöße einerseits in den nördlichen Theilen der Ver-
einigten Staaten, wo die großen Seen, ohne daß man sich erklä-
ren konnte, wodurch, in Bewegug geriethen, andrerseits in den
schwedischen Kupfergruben und den norwegischen Eisenbergwerken.
Eine der gewaltigsten Erderschütterungen der neuern Zeit war die, welche
im Herbste 1822 in Syrien so große Verheerungen anrichtete; von Aleppo
ward mehr als die Halste zerstört, über 20,000 Menschen wurden unter
Ruinen begraben, kein Dorf im ganzen Lande blieb unbeschädigt, und die
Bewegungen hielten zwei volle Monate an.
Vom Anfange des Jahres 1811 bis ins Jahr 1813 hinein ward ein
großer Theil der Erde, zwischen 5° und 4s° nördlicher Breite, vom Me-
ridiane der Azoren bis zu den Missuri-Columbia-Cordilleren in Nord-Ame-
rika, und von den Küsten Venezuela's und den Anden Neu - Granadas,
bis zu den grünen Bergen in Vermont von zahlreichen Erdbeben heimge-
sucht. Auf der westindischen Insel St. Vincent, die, wie wir wissen, unter
sämmtlichen Antillen den thätigsten Vulkan hat, wurden mehr als 200
Stöße gezählt, und in derselben Zeit entstand bei den Azoren die schon
erwähnte Insel Sabrina. Das Erdbeben in Venezuela, 1812, welches
Alexander von Humboldt so meisterhaft beschrieben hat, war eins der schreck-
lichsten, von denen wir Kunde baben; von der blühenden Stadt Caracas
wurden binnen weniger als einer Minute mehr als neun Zehntel in Schutt
und Ruinen verwandelt. Auch in den Vereinigten Staaten von Nord-Ame-
rika erstreckten sich die Erderschütterungcn von Neu-Port bis nach Flori-
da und das Mississippi'delta hinab, und mehre Ortschaften wurden gänz-
lich zerstört; im Mississippi entstanden plötzlich Inseln, und im angrän-
zenden Alluvialboden mehre, zum Theil mcilenlange Seen.
8. 292. Erdbeben sind am häufigsten in vulkanischen Gegen-
den und gewöhnlich am stärksten in einiger Entfernung von den