1836 -
Leipzig
: Schumann
- Autor: Andree, Karl
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium, Realschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
Ii. Physikalische Geographie. 179
als London, so daß die mittlere Jahrestemperatur höher steht, als
unter gleicher Breite in Nord-Amerika.
Die Frostrund P olar-R egionen.
§. 756. In Europa kommt bis zu 71° die Zwergbirke, die
Fichte und Birke in Norwegen bis zu 70° fort. Weiter hinauf
wächst kein Baum mehr; bis 70° wächst und reift noch Gerste,
bis 67° Roggen, bis 65° Hafer, bis 64° Weizen, d. h. ebenfalls
auf der Westseite. Noch unter 69° und 70° auf der Ostseite wird
regelmäßig Korn gebauet. Die Frostregion reicht von 70°
südlich bis zur Nordgränze der Eiche. Die Buche wächst überhaupt
nur bis 58^° in Schweden und in Norwegen bis 59° 15'.
§. 757. Jenseits des Polarkreises besteht der Sommer in ei-
nem ununterbrochenen Tage, und der Winter in ewiger Nacht.
Frühling und Herbst sind die Jahreszeiten der Dämmerung, und
in Hinsicht der Kälte nur wenig vom Sommer unterschieden. Er-
träglicher wird der Monate lange furchtbare Winter durch den hellen
Glanz der Sterne und des Mondes, sodann durch die häufigen
Nordlichter. — In Grönland, Lappland und den kältesten Theilen
dieser Region gefriert im Winter Quecksilber und Branntwein, und
selbst im Sommer thauen an vielen Stellen weder Schnee noch Eis
auf. In Sibirien, zu Jakutsk wollten Russen einen Brunnen
graben, fanden die Erde noch in einer Tiefe von 80 Fuß gefroren;
sie mußten ihr Vorhaben aufgeben. An der Hudsons-Bay thauet
der Boden nie tiefer als drei Fuß auf, und im Winter ist kein
anderes Wasser zu haben, als von geschmolzenem Schnee oder Eise;
die Seen frieren bis auf den Grund aus, sind 7 bis 9 Monate
mit Eis belegt; Schnee fällt schon im August und liegt bis in den
Juni hinein, da nämlich, wo er überhaupt ganz aufthaut.
Im Winter leben die hier spärlich wohnenden, ein armseliges Dasein
hinschleppenden Menschen in ihren Hütten zusammengedrängt; das Innere
derselben ist mit einer dichten Eislage, die sich durch das Gefrieren des
Athems bildet, ganz überzogen. In Sibirien wird das Eis dünn geschabt
und zu Fensterscheiben benutzt. Dringt Kälte ins Haus, so fallen die
wärmeren Dünste alsobald als Schnee nieder. Der Becher friert dem
Trinkenden leicht an den Lippen fest, die Mundvorräthe müssen mit der
Säge zertheilt werden, und Tannenbalken springen vor Kälte aus einander.
Im östlichen Sibirien unter 67 0 am Kowymastrome fand der Eommodore
Billings im Anfange des Novembers eine Kälte von 32 bis 37, ja 41 0
unter dem Gefrierpunkte. Aexte, mit denen man Holz behauen wollte,
sprangen wie Glas in Stücken. Wer sich aus einem gebeizten Zimmer in
die freie Lust wagte, mußte durch ein Schnupftuch Athem holen, und
doch fand er sich gleich von einer eigenen Atmosphäre umgeben, die aus
der Ausdünstung des Körpers entstand, einen Nebel bildete und ganz aus
sehr kleinen Eistheilen zusammengesetzt war. Das Athemholen machte ein
Geräusch, als ob man grobes Papier zerriß, oder dünne Zweige zerbrach; die
Nordlichter waren beständig sichtbar, und man hörte sie zischend vorbei-
schießen. Die Tungusen sagten, es seien Geister, die in der Luft kämpfen.
§. 758. Der Uebergang vom Winter zum Sommer dauert nur
ein paar Tage; kaum thaut der Schnee auf, so ist auch das Grün
schon da.. Weil die Sonne nicht untergeht, ist die Hitze oftmals
sogar drückend. Zu Enontekis in Lappland, unter 68^°, ist die
mittlere Temperatur des wärmsten Monats ganz dieselbe, wie in
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