1830 -
Königsberg
: Bornträger
- Autor: Nösselt, Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Töchterschule
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Mädchen
Das Königreich Spanien.
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waren voll Männer, die bei der geringsten wirklichen oder einge-
bildeten Veranlassung sogleich ihre Messer gezogen hätten; aber
wir betrugen uns fein artig, sahen mit Wohlgefallen ihren Pos-
sen zu, hielten uns in einer höchst ebrerbietigen Entfernung, und
so entließ man uns ohne die geringste Spur von Rohheit oder
Grobheit." Mordthaten kommen im Carneval häufiger vor als
sonst; in Sevilla rechnet man bei jedem öffentlichen Feste 2— 3
gefährliche oder gar tödtliche Verwundungen. Denn bei der klein-
sten Veranlassung zieht der reizbare Spanier sogleich sein Messer,
um es seinem Gegner in den Leib zu stoßen. Die Carnevalslust
der mittleren Stände besteht darin, daß man andere, die darauf
unvorbereitet sind, neckt; z. B. man schleudert Eierschalen voll
zerstoßner Steinchen an den Kopf, oder man bewirft die Da-
men mit Zuckerplätzchen, und wird dafür von ihnen mit Was-
ser bespritzt. Die höheren Stände endlich pflegen denen, wel-
che ihre Tertulia's besuchen, einen Ball und ein Abendessen zu
geben. Darin besteht die ganze Lust, wahrend sich in Italien alle
Stände froh durch einander mischen, und eine Menge geistreicher
Scherze treiben. Dafür sind in Spanien, und namentlich in Se-
villa, die kirchlichen Feierlichkeiten, besonders die in der Charwo-
che, desto mehr darauf berechnet, das Auge und die Phantasie
des Spaniers zu ergötzen, wie wir schon oben erzählt haben. Nur
fehlt bei den letzteren aller Geschmack und alle kirchliche Würde.
Unter den Gebäuden in Sevilla zeichnet sich besonders der
alte, große Dom aus. Von der Menge der Altäre — es sind
ihrer 82 — kann man auf seine Größe schließen. Was ihm aber
in den Augen der Spanier den größten Werth giebt, sind die Re-
liquien, die er aufbewahrt, und die bei der Prozession des Frohn-
leichnamstages herumgetragen werden. Wir wollen sie hier nen-
nen , um einen Begriff von dem Aberglauben dieses Volks zu ge-
den: i) ein Zahn vom St. Christoph; 2) ein Becher von Achat,
dessen sich der Papst, der unmittelbar auf den heiligen Petrus
folgte, bei der Messe bedient hat. (Damals aber gab es weder
Päpste noch Messen); Z) ein Arm vom St. Bartholomäus; 4)
ein Kopf einer der 10,000 Jungfrauen; 5) ein Theil des Körpers
des heiligen Peter; 6) desgleichen vom heiligen Lorenz; 7) des-
gleichen vom heiligen Blasius; 8) die Knochen des heiligen Se-
ver und des heiligen Germain; 9) desgleichen vom St. Floren,
tius ; 10) ein Dorn aus des Heilands Krone; 11) ein Stück vom
wirklichen Kreuze.
Bei dieser Gelegenheit noch einiges über die abergläubischen
Gewohnheiten der Spanier: Wenn jemand krank ist, so begiebt
er sich, wenn er sich irgend noch fortschleppen kann, nach dem
Bilde der Jungfrau der Gesundheit, das mitten in einer der
Hauptkirchcn der Stadt sich befindet. Dieses Bild beschenkt er
nach seinen Vermögcnsumständen, und erhalt dafür zur Vergel-