1. Bd. 1
- S. 299
1859 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
81. Die Gletscher.
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fällen. Zu diesen Anhäufungen von Eisstaub und Gebröckcl kommen
im Winter und Frühjahr die Schneelähnen oder eigentlichen Lawinen
und der starke Schneefall selbst.
Durch diese fortgesetzten eisigen Anhäufungen in Thälern, die auch
tief unter der Schneeregion liegen, sammeln sich dieselben daselbst so,
daß sie theils wegen ihrer Masse, theils wegen der durch die nahen
eisigen Umgebungen niedrigen Luftwärme der Sommer nicht wegzuschmel-
zen vermag; die Masse wird nur durchzogen, um dann um so fester
zusammen zu frieren.
Da die eigentlichen Gletscher fast nur in Thälern liegen, welche
sie oft 3- bis 500 Fuß dick ausfüllen, so haben sie in ihrem Ver-
laufe eine verschiedene Gestalt. Die Alpenthäler steigen meistens stufen-
förmig abwärts und die einzelnen Absätze oder Stufen sind namentlich
in den höheren Gegenden oft steil und groß. So weit der Gletscher
in der ebenen Thalstrecke liegt, ist seine Oberfläche ziemlich eben; wo
sich der Thalboden allmühlig senkt, bemerkt man auch eine Unruhe auf
der Oberfläche, sic schlügt große flache Wogen; wo aber die Thalstufe
jäh abfällt und in der Tiefe vielleicht eine Thalenge bildet, so daß un-
ter dem Absturz ein Kessel entsteht, zeigt der Gletscher seine eigenthüm-
lichste und auffallendste Gestalt, seine Pracht; in unzählige Theile zer-
spalten, welche von der Sonne und Luft allseitig angeschmolzen sind,
stellt sich ein Choas von Eisthürmen, Obelisken, Pyramiden u. s. w.
dar, oben in den Spitzen weißlich, weiter herab grün, in grünblaue
Färbung übergehend, in den tiefsten Spalten dunkelblau; gegen den
Rand zu schmilzt das ganze Gethürm gewöhnlich wieder zu einer dich-
teren Masse zusammen. Am schönsten stellt sich ein solcher Eispalast
aus naher Tiefe dar, wenn die Eisthürme, halb von der Sonne
durchschienen, in den blauen Aether spießen. Wenn die Thalstufe aber
senkrecht und zu groß ist, so bricht er oben ab und seine Thürme ent-
stürzen fortwährend unter großem Donner und in Staub aufgelöst in
das tiefere Thal, und hier erzeugt sich unter günstigen Umständen der
Gletscher von Neuem. Endet der Gletscher auf ebenem Thalbodcn ohne
Hinderniß, so nimmt er daselbst eine runde muschelförmige Gestalt an.
Ueber dice bene Oberfläche des Gletschers ziehen sich Längen- und Querspal-
ten, welche nach ihrem Alter aber kaum als Risse, bald als weitklaffende
Klüfte erscheinen und einen furchtbar prächtigen Anblick gewähren durch
ihr Farbenspiel, das sich vom lichtesten Grünweiß bis in das schwär-
zeile Blau zieht, bis endlich in der Tiefe ein bodenloser, nächtlicher
Schlund erscheint. Außer den Klüften fallen dem Reisenden die kreis-
runden ziehbrunnähnlichen Löcher auf, gewöhnlich in der Tiefe mit
Wasser gefüllt.
Eine andere Erscheinung sind kleine Eispyramiden und Glctschcrtische.
Letztere sind gewöhnlich kreisrunde Eispyramiden, mit großen Stein-
platten wie mit einem Hute bedeckt; sie liegen oft so locker, daß man
sie bewegen kann. Fallen jene Steinplatten herab, so bleiben die erstge-
nannten Eispyramidcn übrig. Viele Bäche rauschen über die Oberfläche