1. Bd. 2
- S. 34
1860 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
84 Iii, Länder- und Völkerkunde. A. Eurvpa.
Cultur des Bodens. Sie hat Städte und Dörfer, zwar wenige und
weit auseinander liegende, aber sie sind gemeiniglich groß und volkreich.
An der großen Landstraße, oder vielmehr Gleisspur, zwischen Tokay und
Debreczin, trifft man fast nur alle drei oder vier Stunden ein Dorf;
aber in einigen Gegenden erfreut oft Tage lang keine solche willkommene
Ansicht das Auge des müden Reisenden.
An lebenden Wesen ist indessen hier kein Mangel; das beständige
Summen der Insectcn, das Kreischen der Raubvögel und das Blöken
des Viehes rief uns den ganzen Tag ins Gedächtniß, daß die Puszta
keine Wüste sei. Zuweilen erblickt man große Viehheerden von meh-
reren hundert Stück, die von Weitem wie eben so viele Regimenter
Soldaten aussehen; denn sie sind, ich weiß nicht, ob zufällig oder absichtlich,
in lange, lose, drei- oder vierfache Reihen geordnet, und in dieser Ord-
nung weiden sie, indem sie sich langsam vorwärts bewegen. Wenn die
Sonne ihre heißesten Strahlen auf die Erde niederströmt, so daß der
Sand von der glühenden Hitze zu zittern scheint, dann ist es interessant,
die armen Schafe zu beobachten und die Weise zu bemerken, wodurch
die Natur sie lehrte, dem Mangel schattiger Wälder abzuhelfen. Die
ganze Heerde hört auf zu weiden und sammelt sich in einem dicht ge-
schlossenen Zirkel, wo jedes den Kopf in den von dem Körper seines
Nachbars gebildeten Schatten hält; so schützen sie sich vor einer Ge-
fahr, die sonst wohl üble Folgen für sie haben könnte. Heerden von
100 oder 200 Pferden sind keine ungewöhnliche Staffage dieser
Landschaft.
Weit entlegen von jedem betretenen Pfade oder Dorfe bemerkt der
Reisende eine Menge zusammenliegender Gebäude, umschlossen vou einer
dicken Lehm- oder Strohmauer mit einem bogenförmigen Thorwege,
worin sich ein großer Hos befindet, umgeben von Ställen, Scheunen,
Schafhürden und einer oder zwei Schäscrhütten. Hier werden Schaf-
und Rindvieh überwintert, um sich das Einfahren von Winterfutter zu
ersparen; und hier bleiben ihre Wächter oft ganze Winter hindurch,
ohne mit einem andern menschlichen Wesen, als mit denen, welche ihren
eigenen kleinen Haushalt bilden, ein Wort zu wechseln; denn der pfad-
lose Schnee macht die Communication äußerst schwierig. Im Sommer
ist das Leben des Schafhirten sogar noch einförmiger. Er bleibt oft mehrere
Monate nacheinander weg, bis der Winter kommt und ihn nöthigt, ein
Obdach zu suchen.
Fast alle Bewohner der Ebene, ausgenommen einige wenige Colo-
uisten, sind ächte Magyaren, und nichts sagt ihrer Neigung so zu,
als das halb müßige, halb abenteuerliche Leben eines Iuhasz oder
Puszta-Schäfers. Den Anzug desselben bilden weite leinene Hosen
und ein kurzes Hemd, das kaum bis unter die Brust herabgeht und
worüber er zuweilen eine bunt gestickte Weste oder Jacke trägt. Seine
Füße sind durch lange Stiefeln oder Sandalen geschützt, und sein Kopf
durch einen Hut von mehr als quäckerartigen Verhältnissen, unter wel-
chem zwei breite Haarflechten herunterhängen. Der aufgekrämpte Rand