1. Bd. 2
- S. 115
1860 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
175. Parallele zwischen Holland und Belgien. 115
der ganzen wilden Natur ihres Vaterlandes, und ein Terrain hingestellt
hatten, in dem cultivirte Menschen hausen konnten.
Alle belgischen Städte reichen mit ihrem Ursprünge und ihrer Ge-
schichte wenigstens um ein halbes Jahrtausend weiter in die Vorzeit
hinauf als die holländischen. Ja, die Holländer hatten kaum erst
Städte, als schon Brügge, Antwerpen, Löwen, Lüttich längst weltbe-
rühmt waren. Die Bedeutung von Rotterdain, Amsterdam, Haag
u. s. w. besteht kaum seit 400 Jahren. Die ganze Macht und Blüthe
der Holländer ist im Vergleich mit der der Belgier fast um so vieles
jünger als die Preußens tut Vergleich zu der Oesterreichs und Baierns.
Daher haben denn auch die belgischen Städte ein viel höheres histori-
sches Interesse als die holländischen. Diese sind minder pittoresk,
prosaischer und einförmiger als jene. Dort sind die Baustile einer
ganzen Reihe von Zeitaltern repräsentirt, hier scheint Alles mehr nach
einem Modell, das Product eines und desselben Zeitgeistes.
Die Verschiedenheit der Religion in Holland und Belgien ist ein
anderer Umstand, welcher wesentlich dazu beiträgt, der ganzen innern
und äußeren Physiognomie beider Länder ein so verschiedenes Gepräge
zu geben. Man kann den Protestantismus wohl die Religion des
Nordens, den Katholicismus aber die des Südens von Europa nennen.
Das südliche Deutschland (Baiern, Oesterreich), das südliche Britannien
(Irland) blieben überhaupt wie das ganze südliche Europa dem Papste
getreu, und auch in den Niederlanden bildete sich dieser Contrast zwi-
schen dem Süden und Norden heraus. Die südlichen Belgier (Wallonen
und Flamländer) wurden dem Katholicismus erhalten, die nördlichen
Holländer dagegen gaben sich ganz der Religion des Nordens hin.
Ans dieser Ursache erscheinen daher nicht nur die Kirchen und Gottes-
häuser, sondern auch überhaupt die ganzen Städte der protestantischen
Holländer minder geschmückt, leerer, einförmiger und historischen Schmucks
beraubter und baarer als die belgischen. Der prachtvollen gothischen
Tempel gibt es von Haus aus in Holland weniger als in Belgien,
und die wenigen, die es da gibt, sind kahl und öde. Die Klöster,
die nie so zahlreich und prächtig wie im Süden waren, sind jetzt ganz
verschwunden und zu Hospitälern und Schulen umgebaut. Von den
malerischen Processionen und Festen, zu denen die katholische Kirche
Veranlassung gibt, ist im Norden natürlich eben so wenig eine Spur.
Wie der Anblick der Städte, so ist in Folge der Kirchenreform auch über-
haupt das Volk in seinem ganzen Erscheinen einfacher und schmuckloser
geworden, und es haben sich überall ans dem öffentlichen Leben der
Städte die pittoresken Eleinente mehr und mehr zurückgezogen.
Ans dem Allem ist denn auch unter Anderem der große Unterschied
zwischen der nordniederländischen oder holländischen und der südnieder-
ländischen oder flämischen Malerschnle entstanden. Im Allgemeinen
kann man sagen, daß der Kunstsinn überhaupt im historischen, katholi-
schen, pittoresken Belgien weiter verbreitet und mehr zu Hanse ist als
im prosaischen, protestantischen, an malerischen Scenen und Anregungen