1. Bd. 2
- S. 224
1860 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Iii. Länder- und Völkerkunde. A. Europa.
entfernen. Der ganze Unterschied zwischen Mittag und Mitternacht ist
dann, daß die Strahlen etwas bleicher und matter werden, ohne daß
sie aufhörten, die belebende Wärme zu verlieren. Es ist sehr eigen-
thümlich, daß, so lange diese tageshclle und sonnenvolle Nacht dauert,
der Wind ganz schweigt und eine durch nichts gestörte Ruhe in der
Natur herrscht, als wolle diese gleichsam dadurch die Zeit des Schlafes
ankündigen. Mit dem Morgen erhebt sich der Wind wieder und die Wetter
werden losgelassen von den Nebelgeistern und abendlich eingcfangen; die
Sonne der Nacht scheint aber oft so heiß, daß sie lästig werden kann.
Ein Bekannter erzählte mir, daß, als er sich in Hammerfest auf einem
Ball befand und gerade um Mitternacht an den Bord des Schisses
zurückfuhr, die Sonue so mächtig war, daß er den Rock auszog. Als
er daraus das Thermometer nahm, zeigte dies 18 Grad. Dieser an-
haltende Tag und Sonnenschein macht es auch wohl allein möglich, daß
noch Aernten gedeihen.
Wie seltsam ist aber der Mensch! Es wohnen hier reiche Handels-
Herren, welche ihr ganzes Leben unter diesem fürchterlichen Klima zu-
brachten. Manche von ihnen könnten, wenn sie wollten, im schönen
Süden leben, allein sie bleiben in dieser Wüste und sterben darin.
Wer hieher kommt, sagte mir ein Anderer, thut es uatürlich des Ge-
winns wegen, wer möchte sonst wohl hier wohnen? Ist man aber an-
sässig, so kommt man nicht wieder fort, denn wer kauft uns ab, was
wir besitzen? Menschen, welche Vermögen besitzen, wandern nicht nach
Hammerfest, es sind nur solche, die es sich erwerben wollen. Wer hier
geboren ist, der liebt diese Einöden eben so sehnsüchtig, wie der Lappe
seine Rennthieralpen oder der Grönländer seine Eisbuchten.
210. Das Dord-Cap und die Mitternachts-Sonne.
(Nach Bayard Taylor, Reise am Nord-Cap.)
Nachdem wir Hammerfest verlassen und ich am andern Morgen
das Verdeck betrat, befanden wir uns in der schmalen Meerenge zwi-
schen der Insel Magerö — deren nördlichste Spitze das Nord-Cap
bildet — und dem Festlande. Zu beiden Seiten stiegen die Küsten —
kalte, nackte Felsen — jäh aus dem Wasser in die Höhe, mit hie und
da einem kleinen Flecke Moos und welkem Gras, während die Spal-
ten vom Gipfel bis zur See hinab mit Schnee angefüllt waren. Kein
Baum, kein Strauch, kein Zeichen einer menschlichen Wohnung war
sichtbar; keines Fischers Segel zeigte sich auf den einsamen Gewässern,
und nichts als das Schreien einiger, die Klippen umkreisenden Möven
unterbrach die lautlose Stille, Nachdem die Meerenge sich erweitert
hatte, erschien im Osten ein Boot, welches nach Kjelvik zu trieb, einem
Orte am südöstlichen Winkel der Insel gelegen, der uns aber durch
ein dazwischen tretendes Vorgebirge verborgen blieb. Es ist dies die