1. Bd. 2
- S. 394
1860 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
394 Iii. Länder- und Völkerkunde. B. Asien.
im Trunk sollen sie ausschweifen. Doch sind diese Bemerkungen über
den Volkscharakter in der Residenz gemacht, der in den Provinzen soll
vortheilhaftcr für die Nation ausfallen.
Ihres halbnackten, in allen Zweigen der Industrie, der Kunst, der
Wissenschaft zurückgebliebenen Zustandes ungeachtet, hält sich dieses
Volk, mit dem knechtischen Sinne, dennoch voll Verachtung gegen andere
Nationen für das erste der Welt. Musik scheint die einzige Knust zu
sein, in der sie vor ihren Nachbarn sich auszeichnen. Ihre Musik ist
dem europäischen Ohre angenehmer als jede andere orientalische, zumal
ihr Gesang, den Crawfnrd mit dem schottischen und irischen vergleicht.
Ueberhanpt sind alle Malayenvölker durch Musik ausgezeichnet.
Die Buddha-Doctrin ist in Siam dieselbe wie in allen anderen
buddhistischen Ländern, in Ceylon, Anam, Tibet, China, Japan und
der Mongolei; aber der religiöse Cultus hat sehr viele Abweichungen
erfahren. Die Hauptlehre ist die der Seelenwanderung, welche den
größten Einfluß auf das Leben gewinnen mußte, daher auch der aus-
gebildete Todteu-Cultus der Siamesen. Daher ihr Glaube einer Art
von Unsterblichkeit, eine Vergeltung, Lohn oder Strafe nach dem Tode.
Die Guten nach einer Anzahl von Transmigrationen kommen in den
Himmel, in eine ewige Seeligkeit (Niripan), wo Gautama und die
Heiligen; aber die Bösen kommen an einen Höllenort. Deren gibt es
aber viele; nach der Angabe eines Siamesen 22 Himmel, 6 obere, 16
untere, aber nur 8 Höllen. Sie kennen kein höchstes, ewiges Wesen,
keinen Schöpfer und Erhalter der Welt.
Der Religions-Cultns ist ihnen nur Gcschäftssache und Unterhal-
tung; den einzigen Ernst zeigen sie den Todten. Deren Behandlung
ist nach dem Range sehr verschieden. Die Leichen der Aermsten wer-
den ohne alles Ceremoniel in das Wasser geworfen, die Wohlhaben-
deren werden verbrannt, den Rest ihrer Gebeine bleicht man in den
Feldern, oder gibt sie den Raubthieren zum Benagen Preis. Aber
damit verbindet man in den höheren Ständen, wie einst bei Aeghptern,
das Einbalsamiren, obgleich die Mumien nachher doch noch verbrannt
werden; diese Läuterung durch Feuer geschah bei den früheren Buddha-
Patriarchen aus Frömmigkeit im Leben, die späteren Frommen haben
cs bequemer gefundcu, diese Läuterung ihrer Körper nach dem Tode
zu verordnen.
Das Priester- und Tempclwesen, das bei den Anamesen fast gänz-
lich fehlt, hat hier in Siam, ungeachtet ihm der innere Grund der
Weihe mangelt, auf eine seltsame Weise in das Volksleben Eingang
gefunden. Jede männliche Person im ganzen siamesischen Reiche mnß
einmal, wenn auch nur temporär, in den Priesterstand treten, selbst der
König muß auf 2 oder 3 Tage Talapoine sein, die er dann zum Almosen-
sammeln verwendet. Die Minister müssen es einige Monate sein, und
cs wird als eine Art spiritueller Firmung angesehen. Der Mann
kann in den Priestcrstand ein- und wieder austreten, wie und wenn er
will. Zur Einweihung gehören die Tonsur, die Ablution, die Talapoi-