1. Bd. 2
- S. 474
1860 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
474 Iii. Länder-- und Völkerkunde. B. Asten.
und Pfeile werden von ihnen mit großer Geschicklichkeit gehandhabt;
die sie aber selbst verfertigen sind schlecht, und sie kaufen daher die
meisten dieser Waffen bei den Baschkiren oder den Chinesen. Anch be-
dienen sie sich sehr unvollkommener Luntenflinten, deren vordern Lauf
sie auf eine Gabel legen; indessen ist dieses Gewehr in ihren Händen
nicht sehr furchtbar. Außerdem gebrauchen sie im Gefecht auch den
Tschakan, ein kleines Beil mit einem sehr langen Griffe, welches oft
tödtliche Wunden macht.
Die Kirgisen sind höchst neugierig, leichtgläubig und schwatzhaft.
Im Allgemeinen sind sie gastfreundlich, doch rechnen sie im Stillen auf
Wiedervergeltnng, denn Eigennutz und Habsucht sind Hauptzüge ihres
Charakters und werden nicht selten Veranlassung zu blutigen Streitig-
keiten, in welche ganze Geschlechter gezogen werden, denn Selbstrache
ist nicht nur geduldet, sondern der, welcher sich durch Glück bei Ueber-
fällen besonders auszeichnet, wird von seinen Landsleuten gepriesen und
hoch geehrt. Fürchterlich ist die Blutrache, wenn Jemand bei Streitig-
keiten das Leben einbüßt. Doch sind sie im Ganzen nicht tapfer, son-
dern mehr kecke Räuber, die den Feind durch List oder Ueberrumpelung
zu besiegen suchen und die Flucht ergreifen, wenn sie kräftigen Wider-
stand finden. Sie machen darum ihre Ueberfülle und Angriffe meist
des Nachts. Ihr erster Anfall ist stets heftig und fast unwiderstehlich,
aber nur, weil sie gute Reiter sind und durch Hoffnung reicher Beute
angereizt werden. Wird das Pferd getödtct und müssen sie zu Fuß
fechten, so sind sie verloren. Der Anblick einer einzigen Kanone ist
hinlänglich, sie in Unordnung zu bringen. Bei der Theilung des Raubes,
wenn sie eine Karawane geplündert haben, gehen sie auf eine lächer-
liche Weise gewissenhaft zu Werke. Tuch, Pelzwerk rc. :c. wird in
tausend Stücke zerrissen, selbst Uhren und Instrumente werden zerbro-
chen und die Stücke vertheilt; der Eine z. B. bekommt ein Rad, der
Andere eine Schraube, der Dritte eine Feder u. s. w. Ueberdies muß
Jeder, wenn er nach Hause kommt, einen Theil der Beute an seine
Eltern und Verwandten abliefern, so daß ihm selbst oft nur wenig
übrig bleibt.
Die Religionsb cg risse der Kirgisen sind ziemlich unklar. Sie
glauben allerdings an ein höchstes Wesen, das die Welt erschaffen hat,
aber die Einen verehren Gott nach den Lehren des Korans, die Anderen
vermischen mit dem Islam noch alte Gebräuche des Heidenthums. In-
dessen kann man doch den Islam als die herrschende Religion der Kir-
gisen betrachten. Sie bekennen sich zur Secte der Sunniten, und kein
Gefangener, der zu dieser Secte gehört, kann als Sclave verkauft oder
als solcher zurückgehalten werden, während man Schiiten, Kalmücken
und Christen als gute Prisen betrachtet und verkauft. Uebrigens neh-
men es die Kirgisen mit den Geboten des Korans nicht sehr genau. Sie
beobachten weder die Fasten noch die Waschungen; anch das tägliche
fünfmalige Gebet wird nicht von Allen verrichtet. Da Mekka zu weit
entfernt von diesen Ländern ist, so hat man fast kein Beispiel, daß ein