1. Bd. 2
- S. 530
1860 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
530 Hi. Länder- und Völkerkunde. B. Asien.
fitnft her. Von der Höhe des alten Burgberges überblickt man auch
am besten den bedeutenden Umfang der jetzigen Stadt, welche, wie man
sagt, 12,500 Häuser, darunter freilich sehr viele Hütten, umfaßt und
über 120,000 Einwohner hat.
Herabwärts gehend von den verödeten Banstätten des zweiten, für
uns aber immerhin altclassischcn Smyrna, kommen wir da an einem
Felsenvorsprnng vorüber, auf welchem, im Schatten der alten Cypressc,
ein einfaches Grabmal in türkischer Bauart steht. Hier in der Nähe
des Gemäuers eines längst zerstörten christlichen Kirchleins, das nach
seinem Namen genannt ward, fand sich der noch jetzt lebenden Sage
nach das Grab des heiligen Polykarpos, eines Schülers des Lieblings-
jüngers des Herrn, des Apostels Johannes. Er litt hier, in der
Nähe seiner Grabstätte, im Jahr 177 nach Christi Geburt, mithin
ein Jahr vorher, ehe das furchtbare Erdbeben (von 178) die Stadt
verheerte, den Zcugentod, der mit den Martern der Flamme begann
und durch das Schwert vollendet wurde.
So gehet hier in Smyrna, wie in seiner ganzen Umgegend, die
Erinnerung an die Heroen der Dichtkunst und der tiefer gründenden
Weltweisheit mit der an die Helden des Christenglaubens Hand in
Hand.
Man braucht nur einen Blick auf die Karte von Klein-Asien und
auf die ganz nahe an seinen Küsten liegenden Inseln zu richten, um
mit Einem Male an die ganze Urgeschichte der hellenischen Wissenschaft
und Kunst erinnert zu werden. Dieses Land gleichet dem Granatbaum
am Bache des Elisa bei Jericho, an welchem keine Blüthe fehl schlägt,
an welchem jedes einzelne Zweiglein mit der Fülle der Früchte pranget:
denn es ist hier keine Stadt, keine Insel, die nicht Mutter und Pfle-
gerin irgend eines Heroen gewesen wäre, dessen Name in der Bildungs-
geschichte unseres Geschlechts glänzt. Fassen wir da einen Erdstrich an
der Küste von Klein-Asien ins Auge, dessen längste Ausdehnung nur
gegen 30 geographische Meilen beträgt, und wir finden auf ihm die
Heimat aller der gepricsensten Väter und Anfänger der Kunst wie der
Wissenschaft beisammen. Dort, in der nachbarlichen, nördlich von Smyrna
gelegenen Meeresbucht von Sandarli, sieht man noch die Ruinen von
Kyme, dem Geburtsort des Dichters der „Werke und Tage", des
Hesiod; hier in der Gegend von Smyrna selber, oder wenn man dies
lieber will, auf dem nahe gelegenen Chios war Homer, der Vater der
epischen, nur wenige Meilen südwärts von Smyrna, an der andern
Seite der kleinen Landzunge, in Teo s, jener der lyrisch-erotischen Dicht-
kunst, Anakreon, geboren. Milet o s war die Vaterstadt des ersten
der sieben Weisen, des Begründers der ältesten Schule der Philosophie:
des Thales, und mit ihm des Anaximander und des Anapimenes; in
Priene, zwischen Miletos und Ephesus, lebte der weise Bias; Ephe-
sus selber war der Geburtsort des tiefsinnigen Heraklit; dort in dem
nachbarlich gegenüber (von Ephesus) gelegenen Samos war der Er-
forscher einer mächtiger und tiefer ins Leben eingreifenden Weisheit: