1. Bd. 2
- S. 677
1860 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Pütz, Wilhelm
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Völkerkunde?
- Geschlecht (WdK): Jungen
352. Die Republiken Bolivia und Chile.
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der Bergströme und könnten nur durch kostspielige Bauten schiffbar ge-
macht werden. Und solch ein Land ließ der Spanier in gefesselter
Kindheit darben, ohne Schifffahrt, Handel und Industrie! Der Schleich-
handel der Nord-Amerikaner, sagt Chamisso, welcher Chile im zweiten
Jahrzehend unseres Jahrhunderts besuchte, versieht das Land allein gegen
gemünztes Geld, ohne daß man seine Producte benütze, mit allen Be-
dürfnissen, und dieselben Amerikaner betreiben allein den Wattfischfang
an seinen Küsten.
Die reichste der zwölf Provinzen ist Santiago, worin die Haupt-
stadt gleichen Namens von mehr als 80,000 Einwohnern. Den zweiten
Rang behauptet Valparaiso, der vorzüglichste Handelsplatz auf der Ost-
seite im südlichen stillen Ocean. Diese beiden Städte, Santiago und
Valparaiso, sind auch die Centralpunkte der Bildung. Während der
letzten Jahre wurde auch die Provinz Atacama mit ihrer Hauptstadt
Copiapo wegen ihrer zahlreichen Kupferminen von großer Wichtigkeit.
Eine Menge administrative, staatswirthschaftliche und finnncielle Re-
formen wurden und werden ergriffen. Projccte zur Anlegung von
Eisenbahnen und Landstraßen, zur Verbesserung des Gerichts, des Post-
und Hypothekenwesens, des Ackerbaues und der Steuern; Maßregeln
zur Herbeizichnng fremder Arbeitskräfte, zur Förderung der Schulen
und Volksbildung wurden eine Menge berathen und zum Theil auch
ausgeführt. Die Colonisations-Projecte nahmen einen gedeihlichen Fort-
gang. Im Jahre 1852 sind über 800 deutsche Einwanderer in der
Provinz Valdivia angekommen, wo ihre Gegenwart fördernd wirkt nach
vielen Richtungen. Nach Außen hin wurde die Stellung der Republik
durch Abschließung mehrerer Handels- und Freundschafts-Verträge mit
den Vereinigten Staaten, mit England, Frankreich, Ecuador und ande-
ren Ländern (1846—1855) befestigt und im Ansehen erhöht.
Chile ist so glücklich, daß sich seine Geschichte während der letzten
drei Jahre (1853—1855) bloß um diese innere Entwickelung, um
Maßregeln eines stetigen Fortschrittes bewegt. Die Santiago- und
Valparaiso-Eisenbahn ist 1855 theilweise eröffnet worden. Bei der
Santiago- und Tacna-Eisenbahn hat sich der Staat mit einer Million
Dollars betheiligt. Auch für Straßen und Canäle sind bedeutende
Summen bewilligt worden. Und so sucht die Republik Chile in der
That nach diesen und nach jenen Richtungen der großen Schwester im
Norden immerdar nachzueifern. Die Chilenen sind mit gutem Grunde
stolz auf das Wachsthum und Gedeihen ihres Vaterlandes. Sie be-
trachten sich als den Vorkämpfer und den Hort der spanisch-amerikani-
schen Nationalität gegenüber der anmaßlichen nordamerikanischen Macht-
Entwickelung. Wo immer die Ljankccs Fuß faßten, suchte Chile ihnen
entgegenzutreten.