1. Bd. 1
- S. 40
1835 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Einleitung.
die in solchen Eisgcgenden des Meeres fahren, kann man sich leicht
vorstellen. Wenn ein im Forttreiben begriffenes Eisfeld auf ein
unbewegtes stößt, oder gar mit einem andern aus entgegengesetz-
ter Richtung herkommenden Felde zusammentrifft, so bringt dieß
einen Stoß hervor, deffen Wirkung jede Vorstellung übersteigt.
„Man denke sich", sagt der Brittische Seefahrer Sc ores by, „eine
im schnellen Laufe aufgehaltene Masse von vielleicht 40,000,000,000
Tonnen leine Tonne hat 2000 Pfund) an Gewicht! Das schwä-
chere Eisfeld wird unter schrecklichem Getöse ganz zerstört. Unge-
heure Masten werden hier über einander hin geschoben, bei 2o
oder 5o F. hoch; andere gänzlich versenkt. Der Wallsischfänger,
obschon er ohnehin in steten Gefahren lebt, muß doppelt wachsam
seyn, wenn die Umstände ihn nöthigen, zwischen bewegten Eisfel-
dern hindurch zu schiffen, und wenn vollends noch neblige Witte-
rung ihn hindert, ihre Richtung genau wahrzunehmen. Es ist ein-
leuchtend, daß auch das stärkste Schiff dem Gegenstöße zweier Eis-
felder eben so wenig zu widerstehen vermöge, als ein Blatt Papier
eine Flintenkugel in ihrem Lause aufhalten könnte. Aller ange-
wandten Vorsicht ungeachtet gehen viele Schiffe zwischen diesen
Masten zu Grunde; bald werden sie auf das Eis hin und umge-
worfen; bald wird der Boden des Schiffes abgeristen; zuweilen
werden sie unter Eistrümmern begraben."
Unter den einzelnen Eismassen, welche im nördlichen und
südlichen Eismeere umhertreiben, giebt es mehrere von außerordent-
licher Größe, ja man hat deren gefunden, die eine Höhe von 1500
bis 1800 Fuß erreichen. Ueber das Wasser ragt gewöhnlich nur
der achte oder zehnte, oft auch nur der zwölfte Theil hervor. Man
nennt solche große und hohe einzelne Eismassen Ei scherze. För-
ster sah im südlichen Eismeere Eisberge von 2000 F. Länge, 400
Breite und 200 Höhe. Eben so ungeheuer sind die Eisberge, die
man im Bassins-Meere und nach Spitzbergen hin antrifft. Die
schwimmenden Eisberge, welche das Bassins-Meer besonders aus-
zeichnen, haben ihren Ursprung von den ungeheuren Gletschern, die
sich von den Gebirgen der Küste bis an das Meer hineinziehen
und aus den vergletscherten Thälern immerfort in das Meer hin-
ausgeschoben werden. Dem größten schwimmenden Eisberge begeg-
neten die Schiffe der Brittischen Nordpolexpedition 1818 in der
Davisstraße, die aus dem Atlantischen Ozean in das Bassins-
Meer führt, unter 70° 56' 40" n. Br. Durch Messung fand der
Kapitän Parry die Länge desselben 12,507, die Breite 10,659 F.
und die Höhe über dem Wasser im Mittel 51 F., woraus für die
ganze Dicke sich 367 F. ergeben. Diese Masse hatte einen körper-
lichen Inhalt von mehr als 48,000 Millionen Kubikfuß Eis und
ein Gewicht von mehr als 1292 Millionen Tonnen. Mit dieser
Eismasse hätte man 171 O.m. (ohngefähr das ganze Großherzog-
thum Hessen) 6 Zoll dick mit Eis belegen können.