1. Bd. 1
- S. 363
1835 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Italien.
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demnach aus Toscana, dem größern Theile des Kirchenstaates und
dem Königreiche Neapel. Süditalien ist das Land der Alterthü-
mer, der erhabenen Geschichtserinnerungen und der schönen Künste.
Da findet man Männer gesetzlos und ungestüm; und Frauenschön-
heit, mild wie ihr Klima und sonnig wie ihr Himmel. Nordita-
lien dagegen ist das Land des Ueberfluffes, üppig und wohlange-
baut, aber einförmig. In Süditalien verändert sich die Ansicht
des Landes fast alle 5 Meilen, und. hier leben an der äußersten
Gränze Italiens, in der Provinz Calabrien, wo die Apenninen
zwischen den beiden Meeren eingepreßt und die ganze Breite der
Halbinsel einnehmend, ihre Gipfel aufthürmen, Menschen, dem
übrigen Europa nur wenig bekannt, und wild wie die Bewohner
der gegenüberliegenden Küste von Albanien, voll eines ungebildeten
Genies; unwissend, aber mit natürlichem Verstände begabt; mu-
thig, aber zügellos, treu gegen ihre Freunde, aber grenzenlos rach-
süchtig gegen ihre Feinde; der edelsten und der schwärzesten Tha-
ten fähig.
Die Norditaliener haben weniger von den Eigenthümlichkei-
ten, welche die gefallenen Abkömmlinge des alten Roms bezeich-
nen. Sie zeigen mehr Aehnlichkeit mit ihren Nachbarn, den Fran-
zosen, Schweizern und Deutschen, mit denen sie seit langer Zeit
schon in Berührung waren und von welchen sie manches angenom-
men haben. Ihre Sitten sind milder; ihre Begriffe gleichen
mehr denen des übrigen Europa; sie haben mehr das Gepräge
einer modernen Nation; kurz sie besitzen die guten und schlechten
Eigenschaften des civilisi'rten Europa. Die Süditaliener dagegen
sind, mit Ausnahme der Bewohner Toscana's,. in Rücksicht der
modernen Bildung und Verfeinerung noch weit Zurück. Sie ha-
den etwas Charakteristisches, das sie von andern Nationen unter-
scheidet; sie besitzen mehr die persönliche Unabhängigkeit eines halb
civilisi'rten Volkes, ob sie gleich unter unumschränkten Regierungen
leben; sie haben stärkere Leidenschaften, aber auch mehr Enthusi-
asmus für das Schöne, besonders im Betreff der Werke der Kunst
und der Musik. Süditalien ist das eigentliche Vaterland der Male-
rei und des Gesanges. In der Mitte dieses Zauberlandes erheben sich
3 große Städte, die Sammelplätze der Reisenden; — alle drei schön
und berühmt, ist gleich jede derselben von den beiden andern unendlich
verschieden. Florenz, die Stadt Italienischer Geselligkeit, Italie-
nischer Höflichkeit und Eleganz, so wie der Sitz der schönen Lite-
ratur. Rom, die Stadt der Monumente, des religiösen Pom-
pes, der Tempel der Künste. Neapel endlich, die Stadt der
Fröhlichkeit, des Leichtsinns und der Wollust, das verzogene Lieb-
lingskind einer zu gütigen Natur, das Land der Sinne, aber
auch das Land der Phantasie.
Was man im Allgemeinen von dem Italiener sagen kann,
ist etwa Folgendes. Im Ganzen genommen bilden die Jtalie-