1. Bd. 1
- S. 478
1835 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
478
Ionische Inseln.
rum lernt auch der des Altgrichischen Kundige so leicht das Neu-
griechische verstehen.
Die Griechen beiderlei Geschlechts sind im Allgemeinen groß
wohlgebaut und stark. Buckliche und Lahme sind selten unter ih-
nen. Die Männer haben einen ungezwungenen, stolzen Gang,
und sind gewandt in körperlichen Uebungen. Die Griechinnen ha-
den im Allgemeinen nicht eben sehr regelmäßige Züge, aber eine
sehr weiße Haut, einen sehr schönen Busen, und einen majestäti-
schen Anstand, viel Geist, Sanftmuth, ein gefühlvolles Gemüth
und eine unbegranzte Hingebung für den Mann. Dem Griechen
fehlt es nicht an Genie. Seine Einbildungskraft ist lebhaft und
fruchtbar und seine Urtheilskraft richtig. Es bedürfte nur einer
zweckmäßigen Leitung, um so viele glückliche Anlagen auszubilden.
Die Venezianische Negierung aber suchte, die Griechen in der tief-
sten Unwissenheit zu erhalten und ihre Anlagen zu ersticken. Un-
ter der jetzigen Brittischen Oberherrschaft hingegen ist schon Vieles
für die Verbesserung des Volks - und des gelehrten Unterrichts ge-
schehen; ja sogar seit 1824 ist auf einer dieser Inseln, in Eorfu
eine Landesuniversität gestiftet worden. Der Grieche ist kriegerisch,
aber sucht weniger durch offenen Kampf, als durch List seinen
Feind zu besiegen, gesprächig und wortreich, unternehmend, geist-
reich und thätig, wenn er seinen Vortheil sieht; dabei aber auch
ränkevoll und listig , abergläubisch und unwissend, stolz, streit -
und rachsüchtig. Oft vermachen sterbende Griechen ihren Haß den
Kindern; diese leisten die Zusage, ihren Vater zu rächen, und
halten nur zu treulich Wort, so daß es Erbhaß von mehreren
Jahrhunderten her giebt. Oft nahmen sonst die Familie und die
Freunde, sogar ganze Dörfer, Theil an diesen Privatzwisten, und
die Einwohner eines Dorfes kämpften mit der größten Erbitterung
gegen die Bewohner eines andern. In dieser Art von Bürger-
kriegen begleiteten die Weiber die Männer zum Kampfe, und auf
der Erde liegend, ladeten sie die Gewehre ihrer Männer, während
jene auf den Feind feuerten; doch haben seit der Oberherrschaft
der Britten diese Kämpfe sehr abgenommen^ und die zunehmende
Aufklärung hat auch der Blutrache engere Schranken gesetzt.
Seit der Venezianischen Herrschaft haben die Sitten der
Griechen, besonders in den Städten, vieles von den Italienischen
angenommen und nur auf dem Lande haben sich die Mitten der
Griechen vorzüglich in ihrer Nationalität erhalten. Man bemerkt
unter andern eine große Eifersucht in Hinsicht ihrer Weiber, welche
überhaupt als Sklavinnen behandelt werden. Es ist etwas seyl
Gewöhnliches, den Griechischen Bauer bei Tische von seiner Frau
bedient werden und ihr und den Kindern den Rest der Speise
überlassen zu sehen. Die Weiber müssen die härtesten Arbeiten
verrichten. Wenn Fremde in ein Haus kommen, worin sich
Frauenspersonen befinden, so ziehen sich diese sogleich in ihr Ge-