1. Bd. 1
- S. 911
1835 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Preußischer Staat.
911
macht und in fruchtbare Felder und Wiesen verwandelt. Ern großer
Theil besteht aber noch aus einer beträchtlichen Waldmasse, die im Som-
mer nur auf Kähnen und im Winter aus dem Eise zugänglich und un-
ter mehrere Besitzer getheilt ist, wovon der Staat, die Stadt Lübben und
der Freiherr von Houwald (Besitzer der Standesherrschaft Straupitz) und
die Grafen von Lynar (Besitzer der Standesherrschast Lübbenau) die be-
deutendsten sind. Dieser noch mit Holz bestandene Theil des Spreewal-
des (denn auch die urbar gemachten Theile der großen Niederung haben
den Namen Spreewald behalten) ist eine beinahe ebene Fläche, in welcher
nur unbeträchtliche, sandige Erhöhungen (Hörste genannt) bemerkbar
werden. Die Spree durchschneidet und umgiebt ihn überall, indem sie
sich in eine große Menge Arme theilt. Daher gewährt der Spreewald
ein ganz eignes, für den Bewohner einer Höhengegend gewiß überraschen-
des Schauspiel. Alles was nämlich in andern Gegenden zu Fuße, Pferde
oder Wagen abgemacht wird, verrichtet man hier in Kähnen,'gewöhnlich
aus einem Baumstamme ausgehöhlt und dann Seelenverkäufer ge-
nannt. Dem Spreewälder ist der Kahn beinahe das, was den Bewoh-
nern der Pampas in Südamerika das Pferd ist. Alle Exkursionen, Be-
suche, Kirchfahrten und landwirthschaftlichen Arbeiten werden abgemacht,
indem man sich zu Kahn an Ort und Stelle begiebt. Der Förster be-
sucht zu Kahn sein Revier, verfolgt in demselben Holz- und Grasdiebe,
fährt zu Kahn Bürschen, ho(zt zu Kahne, er wird beinahe zur Amphibie,
indem er größere Zeit im Wasser und auf demselben zubringt, als auf dem
Trocknen. Im Winter ändert sich die Szene, indem alle die vielen Be-
sucher des Waldes Schrittschuhe anschnallen. Vom alten Weibe, welches
Reff- und Leseholz sammelt, bis zum Holzhauer und Förster gleitet alles
auf den spiegelblanken Kanälen, hier Fließe genannt, fort und wehe dem
Walde, wenn der Forstbeamte nicht ein rascher Schrittschuhläufer ist, um
die entfliehenden Holzdiebe einzuholen. Auch schon bei einem mittelmä-
ßigen Wasserstande ist die ganze Waldfläche bis auf die Hörste über-
schwemmt, jedoch kann man nur bei einem hohen Wasser überall mit
dem Kahne fortkommen, da man sich sonst auf den Fließen halten muß.
Im Sommer und bei niedrigem Wasser ist der Boden außerhalb dieser,
wenn auch nicht trocken, doch so, daß man überall mit guten Wasserstie-
feln fortkommen kann, wo nicht ein Fließ den Weg versperrt. Die Über-
schwemmung ist weder dem Gras- noch Holzwuchse nachtheilig/ Der
Boden dieses Waldes ist keinesweges Moor oder Bruch zu nennen, da
er bis auf einige sehr niedrige Stellen, einen festen, mit mancherlei Schilf-
gräsern durchwachsenen Grund hat. Es ist ein nasser an Humus
(Dammerde) reicher Sandboden, welcher 4 bis 5 F. tief liegt, wo dann
reiner Sand sich zeigt. Der Spreewald zeigt eine sehr üppige Vegetation,
und das daselbst wachsende Gras wird mehrere Male im Jahre rein ab-
geschnitten, außer in den Schonungen. Die gemeine Erle ist die herr-
schende Holzgattung, und der Absatz des Erlenholzes findet zum größten
Theile zu Wasser nach Berlin Statt; die Stadt Lübben und die benach-