1. Bd. 1
- S. 935
1835 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Preußischer Staat.
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die Gaben zunahmen, so miethete Franke 2 Stuben in seines Nachbars
Hause für die Schule, trennte die armen Kinder von den Bürgerkin-
dern weil die Bedürfnisse sehr verschieden waren, und setzte für jede
Schule einen Lehrer ein. Nachdem diese 2 Schulen eine Zeitlang
bestanden hatten, merkte Franke wohl, daß manchen Kindern auch mit
der Schule nicht geholfen sey, und daß eine Armenerziehungsanstalt ein
Vaterhaus für manche werden könnte. Der Gedanke ward bald zur
That. Franke wollte sich aus 4 Geschwistern ein Kind aussuchen, um
damit anzufangen; allein wie er alle 4 in gleichem Elend und gleich
bedürftig der Hülfe sah, unterließ er das Wahlen und nahm alle vier.
Ec brachte sie bei guten Bürgern unter und bezahlte für jedes wöchent-
lich \ Thaler. Bald vermehrte sich die Zahl seiner Waisen bis auf 12.
Zum Aufseher setzte er über diese Kinder einen Studenten, und dieselbe
wohlwollende Hand, welche einige Zeit vorher 500 Rthlr. ihm einge-
händigt hatte, überlieferte ihm im Winrer 1695 die Summe von 1000
Rthlr., womit nun schon viel ausgerichtet werden konnte; unter andern
ward auch des Nachbars Haus erkauft. Im Sommer 1696 bauete
er 2 Stuben daran und brachte die 12 Waisenkinder darin unter. Dies
war der erste Anfang des Hallischen Waisenhauses. Als
sich die Waisen vermehrten, so setzte man einen besondern Hauswirth an
und kochte nicht bloß für die Waisenkinder, sondern auch für arme Stu-
denten, aus denen man die Lehrer nahm. Bald ward es nöthig, das
nächst angränzende Haus für 300 Rthlr. dazu zu kaufen und mit dem
ersten zu verbinden. Die Armenschule ward allmalig in 4 Klassen ge-
theilt, 2 für die Mädchen und 2 für die Knaben. Im I. 1699 kam
eine besondere Schule für solche hinzu, welche studiren wollten, und er-
hielt gleich zu Anfang 3 Klassen. Im Frühjahre 1698 waren 100
Kinder im Waisenhause, ohne die Schüler, und 73 arme Studenten
wurden darin gespeist, so daß mit den angestellten Beamten täglich 200
Menschen in dem Hause gespeist wurden. Franke kaufte jetzt ein groß-
ßes Haus mit Garten und einem ausgedehnten davor liegenden Platze
für fast 2000 Rthlr. und beschloß ein für seine Anstalten zweckmäßiges
Haus zu bauen, obgleich er dazu kein Geld hatte. Den 13. Julius
1698 legte er den Grundstein zu dem jetzigen Waisenhause und sehte
den Bau so ernstlich fort, daß den 13. Julius 1699 das Gebäude un-
ter Dach gebracht und Ostern 1700 bezogen ward. Es ist wahrhaft
wunderbar, wie die unsichtbare Hand Gottes Franke bei diesem Bau
unterstützte; denn oft hatte er keinen Pfennig, wenn er hunderte von
Thalern auszahlen sollte; aber doch fügte es sich stets so, daß, wenn
Geld unumgänglich nöthig war, auch etwas ankam. — Im innern
oder Mittelhofe des Waisenhauses, dicht vor dem Pädagogium auf einem
erhöheten Platze, zu welchem eine Treppe führt, hat man 1829 diesem
Stifter des Hallischen Waisenhauses ein Denkmal errichtet, nach dem
Modell des Professors Rauch in Berlin von Bronze gegossen. Die
Gruppe ist über Lebensgröße, 6 F. hoch ausgeführt, und ruht auf einem