1. Bd. 3
- S. 99
1838 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
99
Brittisches Noßdamerika.
schäumend und tosend, von den Felsen herabstürzt Auf der^ Ziegenln-
sel, zu welcher von dem Amerikanischen User eine schöne Brücke führte
hat man einen trefflichen Standpunkt um den Wasserfall und die Um-
gegend zu erblicken. Doch auf dem Table Rock, am Canadifchen
Ufer, bietet sich der erhabenste und schönste Anblick des Wasserfalles
dar; hier kann man das erste Kräuseln, welches die steigende L)cl>nel-
ligkeit des Niagaraflusses andeutet, bemerken; das Auge des Beschau-
ers verfolgt ihn abwärts, wie die Wogen immer schaumender dahin-
rollen und sich in lautem Brüllen und wilder Verwirrung durcheinan-
derjagen, bis sie sich endlich in eine einzige smaragdgrüne, durchsichtige
Wassermasse vereinigen, welche sich in den Abgrund stürzt und in un-
zählige Sprühwolken zerstäubt. Die Schönheit dieser außerordentlichen
Szene wird noch durch den Anblick von allerlei Wasservögeln erhöhet,
welche die Stromfchnellen hinab, bis an den Rand des Abgrundes
schwimmen, sich dann plötzlich aus dem Wasser erheben und dasselbe
Spiel mit offenbarem Wohlbehagen wiederholen.
Das brausende Getöse des Niagarafalles hört.man, je nach der
Richtung des Windes, in verschiedenen Entfernungen. Zu Buffalo,
4 M. davon entfernt, unterscheidet man es ganz deutlich, und Einige
wollen behaupten, zu Toronto (früher stlork genannt), an der entge-
gengesetzten Seite des Ontariofees, in einer Entfernung von mehr als
9 M. es noch genau vernommen zu haben. Dagegen versichern an-
dere Reifende, in einer Entfernung von 1 M. nicht das Geringste von
dem Getöse gehört zu haben, wiewohl sie sich mit dem Ohre auf die
Erde legten, sondern erst in einer Nahe von etwa \\ Stunden ver-
nahmen sie das Geräusch. Es scheint bei diesen verschiedenen Anga-
den das Meiste auf die Richtung des Windes, auf die Zeit (ob bei
Tage oder bei Nacht) und darauf anzukommen, ob man sich dem Was-
sersturze von unten her, d. h. vom Ontario oder von oben her nähere.
Im ersten Falle muß man das Getöse ungleich weiter hören, als im
letzten.
Die Schicht von hartem Kalkstein, über welchen die ungeheure
Wassermasse herabstürzt, liegt auf einem noch mächtigern Schieferlager
auf. Dies letztere wird durch den feinen Staubregen, den der Wind
und das Aufschäumen der Wassermasse in die Höhe treibt, ohne Un-
terlaß zerfetzt, so daß der seiner Unterlage beraubte Kalkstein in großen
Massen nachstürzt. So stürzte den 28. Dezember 1823 ein Felsen-
stück wenigstens, einen Acker groß, an der Canadischen Seite des Was-
serfalles hinab, wodurch die Ähnlichkeit mit einem Hufeisen seitdem
verschwunden seyn soll. Durch diese fortdauernde Zerstörung der Fel-
sen des Bettes geht der Niagarafall augenscheinlich immer weiter nach
dem Eriesee zurück, und man hat Gründe zu glauben, daß der Fall
einst weiter unten bei Queenstown war; wenigstens versichern die Be-
wohner der dortigen Gegend, daß der Fall in den letzten 40 Jahren
um etwa 150 F. dem Eriesee näher gekommen fest.
7 *