1. Bd. 3
- S. 194
1838 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Amerika.
zeichnen mußten, worunter vorzüglich die Tolteken genannt werden,
denen man die Erbauung der Pyramiden von Teotihuacan und
von Eholula und anderer alten Denkmäler zuschreibt *). Von die-
*) Bewundernswerth sind diese Monumente der fernen Vorzeit. Von
den in der Provinz Chiapa, in der Nähe von Palenque vorhandenen,
haben wir schon oben (Bd. Jls. S. 1) unsern Lesern einige Nachrich-
ten mitgetheilt. Die Pyramiden von Teotihuacan aber sind
nordöstlich von Mexico, in der Nähe des Städtchens Otumba. Die
Volkssage schreibt ihre Erbauung den Tolteken zu, so daß ihr Ursprung
bis ins 8. oder 9. Jahrhundert unserer Zeitrechnung hinaufreichen
würde. Es sind 2 Pyramiden oder Tempel (Teocallis), wovon
der eine der Sonne, der andere dem Monde geweiht ist. Jenen nen-
nen die Eingebornen das Haus der Sonne, diesen das Haus des
Mondes. Der Sonncntempel, der größte, hat eine Höhe von 221 F.
und an der Grundfläche eine Länge von mehr als 700 F., nach an-
dern Angaben beträgt die Höhe nur 170 bis 180 F. und die. Länge
an der Grundfläche 645 F. Die Seiten sind wie bei allen Ägypti-
schen, asiatischen und andern Mexikanischen Pyramiden genau nach den
4 Weltgegendcn gerichtet. Das Innere besteht aus Thon mit kleinen
Steinen vermischt. Diese Kernmasse ist nach Außen mit einer dicken
Mauer von porösem Stein überzogen, auf welcher man außerdem
noch Spuren von Kalk bemerkt, womit das Ganze übertüncht gewesen
seyn mag. Eine aus großen Quadersteinen erbaute Treppe führte
ehemals auf den Gipfel der Pyramiden, die von einer Menge (wohl
200) kleiner Pyramiden umgeben sind, welche kaum 27 bis Z0 F.
Höhe haben. Auf den meisten derselben sieht man Hieroglyphen und
Scherben von irdenen Gefäßen, welche mit Figuren geziert sind. Die
ganze Bauart und Einrichtung dieser Teocallis erinnert nicht nur an
die Stufenpyramiden von Sakkara (Bd. Ii. S. 768), sondern noch
mehr an den Tempel des Belus oder den sogenannten Babylonischen
Thurm. So viel ist gewiß, daß diese beiden großen Pyramiden zu
den ältesten Denkmälern Amerikas gehören, welche den übrigen zum
Muster gedient haben. — Die große Pyramide von Eholula
oder der große Teocalli (in der Provinz Puebla) hat 4 Seiten und
zwar nur 172 F. Höhe, aber 1355 F. Breite an der Grundfläche,
und besteht aus 4 gleich hohen Absätzen, die nach den Himmelsgegen-
den gerichtet sind; 120 Stufen führten auf die Platform dieses Mo-
numents, das sich kühn den Pyramiden Ägyptens an die Seite stellen
kann. Sie ist auch, wie diese aus ungebrannten Ziegeln erbaut, de-
ren Schichten mit Thonlagen abwechseln. Auf ihrem abgestumpften
Gipfll, der 4200 Quadrat-Meter enthält, und sonst einen dem Que-
tzalcoatl gewidmeten Altar trug, steht jetzt eine der heiligen Jungfrau
Maria geweihte, mit Cypressen umgebene Kapelle, worin alle Morgen
von einem Priester Indianischer Abkunft, der zugleich auf diesem
Gipfel der Pyramide wohnt, eine Messe gelesen wird, ein Umstand,
der das Monument vor Zerstörung schützt. Auch wallfahrten große
Schaaren von Eingebornen aus allen Gegenden nach der Kapelle, und
heilige Anhänglichkeit knüpft ihre Herzen noch immer an das Werk
ihrer Vorfahren, welche die einst heilige Stadt Eholula bewohnten
und wo es außer dem großen Teocalli, so viele Tempel als Tage im
Jahre gegeben haben soll. Diese Stadt konnte man daher das Jeru-
salem, das Rom und das Mekka von Mexico nennen, wohin aus
allen Theilen des Reichs ganze Schaaren von Pilgern strömten, um
die heiligen Stellen daselbst zu besuchen, wo Götter und Priester mehr
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