1. Bd. 3
- S. 222
1838 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Amerika.
für ihn vollkommen seyn. Er laßt es sich nicht nehmen, während
einer feierlichen Hochmesse, wenn die Sonne hoch am Himmel steht,
ein Feuerwerk abzubrennen, bei welchem die Schüsse den Hauptessekt
bilden und von dem Schalle aller Glocken begleitet werden. Dieses
Geläute hat aber nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit dem herrlichen
Geläute, welches man an so vielen Orten Deutschlands hört. Die
Glocke wird hier nicht wie bei uns durch langsames Schwingen mittelst
eines Seiles geläutet, sondern der Klöppel wird durch ein an ihm be-
festigtes Seil gegen die Glocke geworfen. Religiöse Prozessionen sind
häufig; sie ziehen durch alle Straßen, indem viele Bilder der Jung-
frau Maria und anderer Heiligen unter beständigem Singen und
Beten umhergetragen werden. Vorzüglich giebt es viele dieser Pro-
zessionen in der Charwoche; an jedem der letzten Tage derselben wird
dabei das Leiden Christi durch vermummte, büßende Personen darge-
stellt. Der Heiland, die Jünger, Römische Soldaten rc. alle in den
possirlichsten Costümen ziehen dabei mehr zur Ergötzung wie zur Er-
bauung des Volks durch die Straßen der Stadt. An einem bestimm-
ten Tage des Jahres wird der Heiland oder der Schutzheilige aus
benachbarter, Kapelle in großer Prozession nach der Pfarrkirche gebracht,
deren Küster die verschlossene Kirchthüre erst nach wiederholtem An-
klopsen öffnet, und nachdem ihm in lauten Worten angekündigt ist,
daß der Heiland oder der Schutzheilige dieser oder jener Kirche gekom-
men sey, um die Pfarrkirche zu besuchen. Für diesen Besuch müssen
bedeutende Gebühren erlegt werden. Der Besuchende bleibt einige Zeit
in der Kirche und bei feiner Rückkehr nach der eigenen Kapelle werden
neue Gebühren bezahlt.
Die zahlreichste Volksklasse in Mexico sind die Indianer,
deren Zahl aus 4| Millionen geschätzt wird. Sie theilen sich in solche,
die seit der Eroberung Mexicos durch die Spanier unter der Herrschaft
derselben lebten, und daher Indios Fideles (treue Indianer) ge-
nannt wurden, jetzt aber eben so wie die Kreolen und andere Ein-
wohner Staatsbürger sind — und in solche, die ihre Unabhängigkeit
unter eignen Oberhäuptern behauptet haben und Indios Bravos
genannt werden. Jene sind die bei Weitem zahlreichsten, haben sich
fast sämmtlich auf dem Plateau von Anahuac und dessen Umgebungen
bis zum Rio grande zusammengedrängt und bestehen aus einer Menge
Stämme oder Völkerschaften, die sich zwar, was Farbe und einige
andere Kennzeichen betrifft, gleichen und einen gemeinschaftlichen Ur-
sprung zu haben scheinen, aber doch in Absicht auf Sprache, Tracht,
Sitten und Gebräuche gänzlich von einander abweichen. Man kennt
nicht weniger als 20 Indianische Sprachen, und viele davon sind
nicht bloße Mundarten, sondern so verschieden von einander, als es
in Europa z. B. nur immer das Slavische und Deutsche seyn können.
Am weitesten verbreitet ist die Aztekische oder Mexicanische, eine der
am schwersten auszusprechenden Sprachen der Erde, mit tiefen, rauhen