1. Bd. 3
- S. 303
1838 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Colombische Republiken.
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einem lang herabgehenden Mantel. Das Kauen der Coca *) liebt
der Guahiro leidenschaftlich.
Ein dritter Indianerstamm sind die Oto makos, Otoma-
ken, ein elendes, unreines, bis zur Thierheit herabgesunkenes Volk,
das an dem Orinoco zwischen den Mündungen der beiden Nebenflüsse
desselben, des Sinaruko und Apure wohnet und die merkwürdige Ei-
genheit hat, wahrend der Überschwemmungszeit, die 3 Monate dauert,
alle Tage eine Portion Erde (die höchste ist £ bis £ Pfund) zu essen,
welche in einem graugelbcn, sehr feinen, fetten Thon besteht, den sie
sorgfältig auswählen, zu Klößen von 5—6 Zoll in Durchmesser kneten,
am Feuer rösten und dann verschlucken. Sie mischen allezeit auch in
der trocknen Jahrszeit ihren Mahlzeiten Erde bei, was ihrer Gesundheit
gar nicht nachtheilig ist, denn sie sind dabei im Gegentheile kräftig
und stark. Man glaubte früher, daß sie dem Thone Schildkrötenfett
beimischen, was sich aber nicht bestätigt hat. Man findet übrigens
in der heißen Zone die Neigung zum Ecdessen häufig. Humboldt sah
am Amazonenstrome Indianerinnen, welche Thongefäße verfertigten,
große Stücke Thon verschlucken. Die Neger essen gleichfalls Erde.
Auch im Indischen Archipel ist das Erdessen nicht ungewöhnlich. Die
Otomaken sind überhaupt ein Volk, das noch sehr wild ist, keinen
Sinn für Landbau zeigt und nur Jagd und Fischfang treibt. Es
sind häßliche Menschen, aber von starkem, festem Körperbau, rachsück-
tig und leidenschaftliche Liebhaber berauschender Getränke, dabei im
eigentlichen Sinne Allesfresser, und es giebt nichts Ekelhaftes, das ihnen
nicht zur Speise diente. Daher sie sogar von den übrigen Indianern
*) Die Coca tfl eine besonders in Peru und Bolivia wachsende Pflanze,
deren Anbau in Bolivia zu einem bedeutenden Handelszweige gewor-
den ist. Ihre Blätter werden wie der Betel (B. Ii, 423) gekaut
und sind zur behaglichen Existenz vieler Indianer unumgänglich noth-
wendig. Die Coca wird im Dezember und Januar gefaxt und blüht
nur einmal im Jahre, giebt aber 4 Erndten von Blättern, von denen
die letzte zur Zeit der Blüthe gehalten wird. Die Pflanze braucht
übrigens nur alle 5 Jahre frisch gesäet zu werden. Sobald man sieht,
daß die Blatter auf der einen Seite smaragdgrün werden, auf der
andern aber eine Art von Strohsarbe annehmen, pflückt man sie sorg-
fältig, eins nach dem andern ab, und trocknet sie in der Sonne. Die
Eigenschaften der Coca sind höchst merkwürdig. Die Indianer, welche
an ihren Gebrauch gewöhnt sind, können dadurch der anstrengendsten
Grubenarbeit, mitten unter den schädlichsten metallischen Ausdünstungen,
ohne Ruhe, Nahrung, ja ohne allen Schutz gegen das Klima wider-
stehen. Sie machen Hunderte von Meilen in öden Gegenden, auf Ebe-
nen, auf klippigen Bergen und nähren sich dabei von der Coca und
etwas geröstetem Korn. Die Coca hat einen feinen aromatischen und
angenehmen Geruch, und verbreitet, wenn man sie kaut, einen ange-
nehmen Duft im Munde. Der Geschmack ist etwas bitter und zu-
sammenziehend, ihre Wirkung magenstärkcnd, und sie hat die Eigen-
schaft, daß sie allen Wechsclsiebern widersteht. Dem Speichel giebt
sie eme grünliche Färbung.