1. Bd. 3
- S. 467
1838 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
i
B ra si lien. 467
beiden findet man hin und wieder einige mehr prachtvolle als schöne
Gebäude. Dazu könnte man noch die Nua do Ouvidor (Straße
des Oberrichters) rechnen, denn sie erhält durch die vielen hier
befindlichen Modenwaarenhandlungen, besonders des Abends, wenn
diese alle auf das Brillanteste erleuchtet sind, für den Ankömmling
einen seltfam magischen Zauber. Auf der geraden Straße befin-
den sich unter andern Gebäuden das schöne große Zollhaus und dicht
daneben die Bank, ebenfalls ein schönes Gebäude; auch ist am Ende
dieser Straße die kaiserliche Kapelle, durch äußere Einfachheit
und innere Pracht ausgezeichnet. Überhaupt zeichnen sich die Kirchen
nicht sowohl durch ihre Bauart oder durch schöne Gemälde und Bild-
hauer-Arbeiten, als durch ihre reichern Vergoldungen und ihre Reich-
thümer aus. An großen Festtagen sind sie vom Boden bis zur Decke
mit seidenen, kostbaren Tapeten, welche Gold- und Silberborten verzie-
ren, ausgeschmückt; der ganze Reichthum der Kirchen prangt auf den
Altären, die mit unzähligen Lichtern bedeckt sind, köstlicher Weihrauch
erfüllt die Luft und vermischt sich mit dem Wohlgeruche, welchen die
dicht gestreuten Blumen und Blüthen verbreiten, während vom Chore
heräb eine feierliche Musik ertönt.
Kirchenfeste sind hier die einzige Ergötzlichkeit des Volks; ein
Drittheil des Jahres wird mit solchen Festen zugebracht, welche stets
nach Sonnenuntergang ihren Anfang nehmen; die Kirchen, durch rei-
che Gaben der Gläubigen in den Stand gesetzt, keinen Aufwand zu
ihrer feierlichen Ausstattung zu scheuen, scheinen sich gegenseitig durch
lärmende und prunkvolle Ankündigungen des Festes überbieten zu wol-
len; prasselnde Feuerwerke, brennende Holzhaufen und Pechpfannen
vor den Kirchenthüren aufgestellt, verbreiten weit umher Licht und
Rauch; von allen Seiten wogt die Menge, festlich gekleidet, der Kir-
che zu; auf allen Gesichtern glänzt Freude. Das schöne Geschlecht,
während des Tages für jedermann unsichtbar, erscheint nun in langen
Zügen feierlich einherschreitend, kostbar gekleidet und von Sklavinnen
umgeben. In der Kirche empfängt die Andächtigen Musik und der
Glanz von unzähligen Kerzen, worauf der Gottesdienst beginnnt und
mit Geräusch, Feuerwerk und Jubel der nach Haus zurückkehrenden
Menge endet. Das Frohnleichnamfest wird, wie in allen katholischen
Landern, mit großer Pracht gefeiert; mit noch größerm Pompe aber
wird das Fest des Herzens Jesu begangen. Bei der stattfindenden
Prozession trägt der Kaiser mit seinen ersten Beamten selbst den Bal-
dachin über dem Hochwürdigsten, sämmtliche Brüderschaften der Stadt
eröffnen den Zug mit ihren Fahnen, die Kinder der Vornehmsten um-
geben das Allerheiligste, als Engel in große Reifröcke gekleidet, die
Haare gepudert, das Gesicht weiß und roth geschminkt; die ganze
Garnison bildet Spaliere in den Straßen, durch welche sich die Pro-
zesiion bewegt. Sobald das Allerheiligste erscheint, fällt die Mann-
30 *