1. Bd. 3
- S. 491
1838 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Australien.
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heit erregt zu haben vermeinte. Ein Wort des Priesters, ein Traum
oder sonst ein dunkles Gefühl konnten einem solchen Insulaner den
Gedanken einflößen, daß er die Gottheit beleidigt habe, und sogleich
belegte er sein Haus, seine Felder, seine Pirogue rc. mit dem Tabu
d. h. er beraubte sich freiwillig des Gebrauchs aller dieser Gegenstän-
de und unterzog sich allen Unannehmlichkeiten, die aus einer
solchen Entbehrung für ihn erfolgten. Zuweilen ist das Tabu allge-
mein und trifft jedermann, wo dann niemand, ohne sich der streng-
sten Bestrafung auszusetzen, einem mit Tabu belegten Gegenstände
sich nahem darf. Zuweilen ist es jedoch nur beziehungsweise und
bloß auf einen oder mehrere Menschen gerichtet. Ein persönlich dem
Tabu übergebenes Individuum ist von aller Gemeinschaft mit seinem
Stamm ausgeschlossen, und darf sich nicht einmal der Hände bedie-
nen, um Nahrungsmittel zu berühren. Gehört ec der vornehmem
Kaste an, so sind einer oder mehrere Sklaven zu seinem Dienste be-
stellt, die gleichfalls mit ihm dem Tabu verfallen; ist es nur ein ge-
meiner Mann, so muß er, wenn er anders nicht verhungern will,
seme Nahrung mit dem Munde aufheben, nach Art der Thiere. Der
Häuptling konnte je nach seinem Range alle, die unmittelbar von ihm
abhingen, mit in sein Tabu einschließen; endlich verehrte der ganze
Stamm die Tabus, die von dem obersten Häuptling ausgingen. Aus
allem diesen ist leicht einzusehen, wie die Häuptlinge diese Einrichtung
benutzen konnten, um ihre Rechte zu sichern und ihrem Willen un-
bedingten Gehorsam zu verschaffen. Es ist auch zu bemerken, daß
die Häuptlinge und Priester stets mit einander zur unverletzlichen
Aurechthaltung des Tabu einverstanden waren. Übrigens sind die
Häuptlinge selbst größtentheils Priester oder diese mit Häuptlin-
gen durch die Bande der Verwandtschaft oder gegenseitiger Überein-
kunft engverbunden. Wer immer es gewagt hatte, die Hand frevel-
hafterweise an einen mit Tabu belegten Gegenstand zu legen, war mit
dem unfehlbaren Zorn und Strafgerichte Atuas (Gottes) bedroht;
größtentheils kamen jedoch die Häuptlinge der himmlischen Rache da-
durch zuvor, daß sie den Schuldigen mit unerbittlicher Strenge be-
straften. Gehörte er einer höhern Kaste an, so wurde er seines gan-
zen Eigenthums, selbst seines Ranges beraubt und in die unterste
Klaffe des Volks verstoßen. War es ein Mann aus dem gemeinen
Volke oder ein Sklave, so konnte sein Tod allein die Schuld sühnen.
Noch müssen wir bemerken, daß die Ozeanier zum Theil Landbau
treiben und in Verfertigung von Kleidungsstücken, Fischerei- und an-
dern Gerathschaften, Fahrzeugen und Waffen eine bewundernswürdige
Geschicklichkeit zeigen. Durch die Bemühungen der Missionare hat
ein Theil derselben das Christenthum angenommen und der Einfluß
Europäischer Sitten und Civilisation macht sich mit jedem Jahre auf
einem Theile dieser Inseln bemerkbarer. *
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