1869 -
Calw [u.a.]
: Verl. der Vereinsbuchh. [u.a.]
- Autor: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Leibeigenschaft.
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abziehen konnten. Erst 1601 wurden sie durch einen Ukas
des Kaisers an die Scholle gefesselt. So lange R. reiner
Ackerbaustaat war, war ihre Lage nicht drückend; in Zeiten
des Mangels waren ihre Besitzer verpflichtet, sie zu er-
nähren, und gewöhnlich überließ der Herr seinen ganzen
Boden dem Dorfe gegen eine Rente. Nachdem aber
Peter d. Gr. die westeuropäische Industrie eingeführt
hatte, wurde es anders. In R. wird nämlich europäische
Kultur, so viel dem Czar beliebt in sein Reich einzulassen,
auf asiatische Manier mit Einem Schlage dem Volke auf-
oktroyirt. In den neu errichteten Fabriken wurden den
fremden Fabrikanten eine Anzahl Leute, meist ein ganzes
Dorf, auch als ihren Herren überwiesen. Nun fiengen
diese an, weil alle Arbeit des Leibeigenen seinem Besitzer
gehöre, ihre Leibeigenen auch zu jeder Arbeit auszunützen,
und meist unmenschlich auszupressen. Bald aber bemerkte
man, daß, während der R. auf eigenen Vortheil ein sehr ge-
schickter Arbeiter ist, er zur Frobne ein schlechter war; daher
man ihnen gestattete, sich selber Arbeit zu suchen, und — je
nach dem in ihnen steckenden Kapital, ihren Obrok zu zahlen.
Dazu kommt, daß die eigentlichen Russen, die „Groß-
russen," das strenge Feldgeschäft nicht sehr lieben, son-
dern weit mehr kleine Gewerbsarbeiten und Handel; der
Getraidebau trägt auch wenig ein bei der ungeheuren
Menge des Erzeugnisses,*) und den weiten Transporten
auf die Weltmärkte, während die Taglöhne sehr hoch stehen.
So ziehen denn eine große Menge Leibeigener fortwährend
im ganzen Lande als Krämer und Fabrikarbeiter, Hand-
werker und Fuhrleute, auch als Fischer und Jäger rc.
auf eigene Faust umher, und Viele schwingen sich als
Maler, Kaufleute rc. empor, bleiben aber immer Eigen-
thum ihrer Herren.
*) Man rechnet die Masse einer mittleren Getraideernte in R.
zu 480 Mill. württb. Scheffel (265 Mill. Tschetwert), wovon 54 Mill.
Schfl. (30 Mill. Tsch. ) zur Ausfuhr übrig bleiben. Es ist aber eine
ungeheure Menge Land noch unangebaut.