1864 -
Langensalza
: Greßler
- Autor: Mauer, August
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Windhunden, letztere mit Packern (Bärenhunde) gehetzt werden, nach-
dem sie durch Jagdhunde ans dem Gebüsch ins Freie getrieben sind.
Im Winter findet man in den Dörfern oft wenig Männer zu
Hause. Sie sind in dieser Jahreszeit meistens als Fuhrleute ab-
wesend, um für billige Fracht, Produkte und Waaren nach allen
Häfen, Stapelorten und Handelsplätzen des Reichs zu verfahren.
Andere stricken Netze und verarbeiten Bast und Hanf zu Stricken,
Leder 51t Pferdegeschirr, drechseln Löffel und Schalen u. s. w.
Der gemeine Russe läßt noch immer wie vor Jahrhunderten
seinen Bart wachsen, und trägt ein kurzes, rund um den Kopf ab-
geschnittenes Haupthaar.
Die Russen haben einen außerordentlich starken Körper, der Kälte
und Hitze, Schmerzen und Beschwerden zu ertragen vermag. Dies
kommt daher, daß sie von Jugend auf daran gewöhnt werden, aus
den heißen Stuben in die strengste Kälte zu gehen und sich, wenn
sie auch noch so erhitzt sind, im Schnee herum zu wälzen.
Ohne Bad kann kein Russe leben, und er muß wenigstens alle
Woche eins haben; doch lieben alle die heißen Bäder mehr als die
kalten. Wenn es ihnen im Leibe nicht recht ist, trinken sie ein oder
zwei Glas Branntwein, essen Schießpulver, kauen Tabak und gehen
darauf ins Schwitzbad. Eine solche Badestube ist in vielen Häusern,
und jedes Dorf hat deren wenigstens zwei bis drei. Sie sind so
gebaut, daß sie bis zu einem hohen Grade erhitzt werden können,
und wo es angeht, legt mcw sie gern an einem Flusse an, damit
man nach dem Dampfbade sich gleich wieder abkühlen kann. Viele
machen sich hinterher noch das Vergnügen, daß sie mit dem hoch-
roth aufgedunsenen Leibe aus der heißen Badestube nackend heraus-
laufen, in den nah gelegenen Fluß springen oder sich im Schnee
herumwälzen, darauf wieder in die heiße Stube zurückkehren, und
dies so lange wiederholen, bis sie es satt haben.
Wenn man von ihrer Trinksucht spricht, so muß man nicht
glauben, daß sie dieselbe zur Gewohnheit machen, sondern derselbe
Mensch, der heut betrunken sich auf der Straße wälzt, ist nicht
blos morgen, sondern mehrere Wochen nachher wieder der nüch-
ternste, mäßigste und arbeitsamste Bursche, und löscht seinen Durst
mit Wasser, ohne nach Branntwein zu gelüsten. In ähnlicher Weise
ist es auch mit dem Essen. So starke Mahlzeiten der Russe zu sich
nehmen kann, wo sie ihm nichts kosten, so lebt er doch im Allge-
meinen mit seiner Familie sehr einfach; die Genügsamkeit ist ein
Hauptzug im Charakter des Russen, der lustig und heiter bleibt
auch in der größten Entbehrung.
Die alte Gastfreundschaft des Nordländers ist noch jetzt eine
russische Nationaltugend. Vom Bauer bis zum Fürsten nimmt Jeder
seinen Gast, sollte es auch ein ganz Fremder sein, freundlich auf
und setzt ihm das Beste vor.