1860 -
Hannover
: Pockwitz
- Autor: Ulrici, C. W.
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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15. Das Leuchten des Meeres.
Mitunter bemerkt man Abends ein Helles Leuchten des Meeres. Jede
Welle, die sich bricht, hat einen leuchtenden Saum, und wo ein Schiff die See be-
rührt, zeigen sich Streifen von Hellem Lichte. So weit daßauge in die Ferne reicht,
stellt sich alsdann dieselbe Erscheinung dar; selbst die Abgründe des unermeßlichen
Meeres scheinen mit Licht angefüllt. Große leuchtende Körper, welche die aufmerk-
same Beobachtung für Fische erkennt, nähern sich dem Schiffe, halten demselben
Strich, oder fliehen seitwärts wie Blitze. Zuweilen bewegen sie sich gegen einander,
und wenn dann ein kleiner einem großen zu nahe kommt, so kehrt er eilends zurück
und sucht auf alle Weise zu entkommen. Ein Reisender, der diese Erscheinung
genauer beobachten wollte, ließ zur nähern Untersuchung einen Eimer voll
dieses leuchtenden Wassers ins Schiff ziehen und fand darin unzählige ganz kleine
leuchtende Kügelchen, welche sich unglaublich schnell bewegten. Nachdem das Wasser
eine Zeitlang ruhig gestanden hatte, schien die Zahl der leuchtenden Körperchen merk-
lich verringert. Kaum aber rührte oder bewegte man das Wasser, so ward es wie-
der hell, und die kleinen Funken fuhren darin sehr lebhaft nach allen Richtungen
umher. Man hatte den Eimer vermittels eines Stricks von der Decke herabhängen
lassen, um die Bewegung des Schiffs zu vermeiden und das Wasser recht ruhig
werden zu lassen. Dessen ungeachtet bewegten sich die Lichtstäubchen hin und her,
so daß man von ihrer willkürlichen Bewegung überzeugt wurde. Das Funkeln ver-
stärkte sich, so oft man in dem Eimer mit der Hand oder einem Stock rührte. Im
erster« Falle blieb zuweilen ein solches leuchtendes Fünkchen am Finger sitzen; kaum
war es so groß wie der kleinste Nadelknopf. Das geringste Vergrößerungsglas gab
die kugelförmige Gestalt und etwas bräunliche Farbe dieser gallertartigen, durchsich-
tigen Pünktchen zu erkennen. Unter dem Vergrößerungsglase entdeckte man eine
sehr feine Röhre, welche von einer runden Mündung an der Haut ins Fleisch oder
Innere dieses kugelrunden Geschöpfes ging. Das Eingeweide bestand aus vier bis
fünf ganz kleinen Säcken, welche mit der erwähnten Rohre in Verbindung zu stehen
schienen. Gewiß, deranblick des unermeßlichen Weltmeers mit unzähligen kleinen
Stäubchen angefüllt, denen der Schöpfer Leben, Bewegung und Wanderungskraft
ertheilt hat und das Vermögen, im Finstern zu leuchten, solcher Anblick erweckt mehr
Erstaunen und Ehrfurcht, als Jemand zu beschreiben vermag. — Nach anderen Be-
obachtungen theilt die Fäulniß thierischer Körper (Heringe u. dgl.) dem Wasser ein
jedoch schwaches Leuchten mit, welches durch lebhafte Bewegung vermehrt wird. Von
solcher Beschaffenheit sind die meisten Fälle, in denen man zuweilen von den Inseln
das Leuchten des Meeres wahrnimmt.
16. Der Serstürm.
Gewöhnlich geht eine bedrohliche schwüle Stille dem Toben des Sturmes vor-
her. Der regelmäßig wehende Wind setzt plötzlich um, Wirbelstöße erheben sich; das
Meer beginnt ohne sichtbare Ursache zu wallen.' Nun kommt ein heulender Wind
heran, der zischend und pfeifend durch das Tauwerk fährt. Die Matrosen klettern
an den Strickleitern empor und reffen die Segel zum größten Theil ein und binden
sie zusammen, damit sie dem Winde keine zu öedeutende Fläche darbieten. Die
Luken werden nach allen Seiten hin auf das Sorgfältigste geschlossen, um den an-
schlagenden Wellen das Eindringen zu verwehren. Kaum hat dies geschehen können,
als auch schon mit erneuerter Gewalt der Sturm daher braust, die Wogen peitscht
und immer höher hinauftreibt. Sie erscheinen den erschreckten Bewohnern des
Schiffes wie Berge, ihre Tiefen wie furchtbare, bodenlose Abgründe. Schon hat
das Meer seine Durchsichtigkeit verloren. Schwarz sieht es aus und öffnet einen
gähnenden Schlund neben dem andern, doch hat es noch nicht seine schrecklichste Ge-
stalt angenommen. Nun aber sinkt die Nacht hernieder. Da scheint der Himmel
flach und nicht mehr gewölbt sich auszubreiten; er scheint sich zum Meere zu senken,
um es mit seiner Last zu erdrücken. Immer wüthender und wilder rast der Sturm
daher, schleudert das Schiff hinab, hinauf. Jetzt auf einem Wellenberge treibt er
es in die Tiefe hinunter. Die Spitze des vordersten, schräg hinaus liegenden Mastes
taucht in das Wasser und scheint das Schiff durch die dunklen Massen des Meeres
selbst ziehen zu wollen. Jetzt steigt es bergan, und steil und hoch in die Luft ragt
desselben Mastes Spitze, indem er im Bogen aufwärts das Wasser schleudert, das