1860 -
Hannover
: Pockwitz
- Autor: Ulrici, C. W.
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
7ñ
Die kleinen, mitten im Grase liegenden Gehöfte und Dörfer, die ohne Scheu-
nen immer all' ihr Stroh, Heu und Korn in Ordnung und Unordnung um sich
herum liegen haben, sind mit reißender Schnelligkeit entzündet und in glimmende
Kohlenhaufen verwandelt. Die Dächer oer Crdwohnungen, die gewöhnlich aus al-
tem, halbvermodertem Schilf bestehen, glimmen wie Zunder mit stinkendem Dampfe
weg und sinken in die Höhlung ein, die häuserhohen Strohs und Heuhaufen rauchen
mit gigantischen Rauchsäulen empor. Entdecken die Leute noch bei Zeiten den Brand,
so umziehen sie schnell ihre Wohnungen und Kornhaufen mit einigen Furchen und
zernichten das Gras rund umher, um dem Brande so Grenzen zu stecken.
Die zahlreichen Heerden der Steppen werden durch solche Steppenbrände nicht
wenig in Aufruhr und Schrecken gesetzt. Sie werden, da die Flammen mitunter
wunderbare Streifzüge machen und von drei und vier Seiten zu gleicher Zeit her-
anrücken, von ihnen völlig eingeengt, so daß Hirten und Thieren nichts übrig bleibt,
als mitten durch das Feuer hindurchzusetzen. Das geht dann nicht ohne mancherlei
unangenehme Vorfälle ab, und unter Umständen wird nicht nur manches Haar,
sondern auch manches Leben dabei versengt, wenn zum Beispiel die dummen Thiere
schnurstracks in brennende Gebüsche hineinrennen. Gewöhnlich kann man mit dem
Winde ganz sicher dicht hinter der vorschreitenden Flammenlinie herreiten, denn
Gluth laßt sie wenig im Rasen zurück; doch muß man sich immer dabei in Acht
nehmen, denn neckisch schlägt zuweilen die Flamme rückwärts an Roß und Reiter
empor und versengt ihnen alle Haare unv Flaumen, wie eine Köchin der gerupften
Henne.
Es geschieht dies Abbrennen der Steppe natürlich, je nach der Beschaffenheit
des Bodens, häufiger oder seltener. Manche Steppenherren lassen es alle vier bis
fünf Jahre regelmäßig geschehen.
Ebenso wie auf der hohen Steppe das Gras, werden auch an den Flüssen hin
die großen Schilswaldungen angezündet. Freilich ist es verboten, dies zu thun, bei
Strafe der Verbannung nach Sibirien, weil diese Schilfbrände nicht so gut beauf-
sichtigt werden können, wie die Steppenbrände, und Vieles dabei in Rauch aufgeht,
was geschont werden sollte; allein dennoch, Sibirien und allen seinen Schrecknissen
zum Trotz, lodern überall die Flußthäler kurz nach der Schneeschmelze in Feuer-
flammen auf. Dniestr und Dniepr sieht man oft in langen Strecken hin von ro-
them Schein erleuchten, als wenn statt des Wassers Feuer im Thal flösse. Die
Gründe zum Abbrennen des Schilfes sind hauptsächlich zweierlei: erstlich das Ver-
treiben der Wölfe, die sich so zahlreich in den Schilfwaldungen versammeln, als
wenn sie eben nichts als große Ratten wären, und dann zweitens, um dem jungen
aufsprossenden Schilfe Luft zu geben, das von dem alten, welches noch so von Sonne,
Wind und eigener Altersschwäche gebleicht und verstümmelt dasteht, in seinem Wachß-
thume behindert wird.
57. Die Heuschrecken.
Von allen Insekten erscheint keines in so großer Anzahl, keines zeigt solche
Freßgier und ist dem Menschen ,so schädlich, als die Heuschrecke. Es giebt in den
Steppen von Südrußland hauptsächlich zwei Arten von Wanderheuschrecken, eine
kleine, anderthalb Zoll lange, und eine große von zwei Zoll Länge. — Beide sind
gleich gefräßig und gleich gefürchtet, und beide entstehen aus Eiern, welche das
Weibchen im August und September mit der Bohr- und Eierröhre in die lockere
Erde legt. — Dieses Thier bohrt int^ß keinesweges mit dieser äußersten Spitze
seines Leibes allein, sondern auch mit dem Leibe selbst. Es dient jene Röhre dem
ganzen bohrenden Leibe nur gleichsam als erhärtete Stahljpitze. Wenn das Loch
endlich soweit ist, als es ihr ihre Kräfte und der Zustand des Bodens zu machen
erlaubt, so legt sie 50 bis 70 Eier hinein und verwendet zu dieser ganzen emsigen
Arbeit zwei bis drei Tage. Alsdann ermattet sie und giebt, wenn sie so ihr Werk
vollendet, ihren Geist auf, Die Eier der Heuschrecke sind weiß, an Form und
Größe denen der Ameisen ähnlich, und alle mit einer weißen klebrigen Masse zu
einem Haufen oder Neste zierlich verbunden. Zieht man sie aus dem Loche hervor,
so bilden sie ein zusammenhängendes Klümpchen, wie die Eiernester einer Spinne.
Die Eier liegen den ganzen Herbst und Winter über, bis spät in den Frühling, wo
dann zu Ende April oder Anfang Mai die Jungen herauskriechen. Im Frühling,
also bei den ersten recht warmen Tagen, kriechen die jungen Heuschrecken aus und
erscheinen alsbald in großer Menge. Wie viele Millionen Mutter fielen nicht im