1860 -
Hannover
: Pockwitz
- Autor: Ulrici, C. W.
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Herbste mit ihrer Eierlast nieder, und jede legt doch viele derselben: wie viele Junge
sind also da! Die Jungen haben Anfangs keine Flügel, sogleich aber rasche Füße
zum Marschieren. In den erste» Tagen nähren sie sich stille in ihrer Nachbarschaft,
bald gewinnen sie an Stärke und an Zahl, und es stoßen Haufen zu Haufen. Sie
fressen ihre Umgebung, vielleicht ein öoes, grasreichee Steppenfeld, wo Niemand sie
bemerkte und störte, kahl, oder sie werden aus den Gärten verscheucht und begeben
sich nun auf die Wanderung. Es rafft sich Alles auf und rllschelt über und neben
einander weg. Die Thiere gehen immer in einem geraden Striche und lassen sich
durch nichts aufhalten. Sie schreiten über die Dächer der Erdwohnungen weg und
klimmen über die Zäune und selbst an nicht allzusteilen Mauern binauf. Sie
schreiten mitten durch die Dörfer und weichen weder Menschen, noch Thieren, noch
Wagen aus. In großer Masse stürzen sie die steilen Ufer des Meeres hinab.
Der Marsch dieser kriechenden jungen Heuschreckenheere ist noch weit gefürchte-
ter, als der Flug der alten, Denn theils ist es nicht möglich, sie aufzuscheuchen,
und es giebt kein Mittel, sie zu vertreiben, theils fressen sie weit gieriger, als die
Alten, da sie zu ihrem Wachsthume mehr bedürfen. Dazu fallen ihre Wanderun-
gen in die schönste Zeit der jungen Frucht und des jungen Grases, das sie ganz
mit Stuinpf und Stiel wegfressen. Jedoch bleiben sie nur in kleinen Bezirken
und kommen nicht weit, denn ein großes Heer kann in einem Tage kaum mehr, als
eine halbe Stunde von der Stelle kommen.
In drei bis vier Wochen sind die jungen Heuschrecken völlig ausgewachsen,
haben nach 4—5 Woche» auch vollkommen ausgebildete Flügel erhalten und fangen
alsdann an, sich zu erheben. Sie schwärmen nun durch das Land hin und her, so-
wohl im Juni, als auch im August, ja bis Mitte September hinein. Sie machen
dabei ein beständiges Geräusch mit den Flügeln, welches, wenn es von der ganzen
Masse zugleich geschieht, wie das Rauschen des Windes durch die Pappelbäume
klingt. Bei schönem heiterm Wetter fliegen sie sehr hoch, bei trübem Wetter jedoch
fliegen sie viel niedriger. Sie fliegen bei Tage und bei Nacht, besonders wenn die
'Nächte schön warm und mondhell sind, wie sie im Juli und August auf den hohen
Steppen gewöhnlich sind. Auch in solchen Nächten fliegen sie sehr ho ch. Später als
12 Uhr flattern sie nicht. Des Morgens erheben sie sich erst um 8 oder 9 Uhr,
wenn der Thau vom Grase und von ihren Flügeln abgetrocknet ist, von ihrem
Nachtlager. Sie fliegen immer in so großer Masse, vap der Schatten, den eine
Heuschreckenwolke wirft, so stark ist, daß er an heißen Sominertagen angenehm
kühlt. Man sieht nicht eine Spur von Sonne hindurch. Eigen ist das Zusammen-
halten dieser Thiere. Denn wenn auch viele unterwegs auf mancherlei Weise getrennt
werden, so bleibt doch immer die Hauptmasse beisammen, und selbst die Nachgebliebe-
nen raffeil sich wieder auf und schließen sich ihr von Neuem an. Es sieht überall,
wo die Heuschrecken einmal Rast und Mittag hielten, nicht anders aus, als wie
auf einem Schlachtfelde. In dem Geraufe und Gereiße beim Fressen, sowie selbst
im heftigen Herab- und Nebeneinanderfallen sind viele flügellahm- oder auf andere
Weise verwundet, ja selbst von andern Heuschrecken gebissen worden. Andere haben,
indem ihnen die Norgänger Alles weggefressen, keine Speise erhalten und halten
nun noch hungrig Nachtisch. Haben diese sich nun ebenfalls satt gefressen und sich
etwas erholt, so schließen sie sich sobald als möglich an einem andern großen vor-
übergehenden, oder ihnen begegnenden Haufen an.
Was ihre Anzahl betrifft, so ist sie natürlich sehr verschieden, denn es streifen
oft kleinere Heerden von wenigen Millionen herum, dann aber wieder unsäglich
große Armeen. Die Leute sprechen von einer Stunde langen und einer Viertel-
stunde breiten Streifen, die sie mit Heuschrecken bedeckt gesehen haben. Man muß
erschrecken, wenn man diese Zahl von Thieren denkt, die, wie die Russen sagen, ein
Gebiß wie die Pferde und eine Freßgier wie die Wölfe haben. Die Speise der
Heuschrecken bilden alle grünen Blätter und ebenso alle grünen, weichen Zweige,
das Gras der Steppe, die Blätter der Bäume, das Getreide, das Schilf und selbst
die obern Enden der weichen Wurzeln. Das Knistern der rasch zerbisseneil Halme
und das Schütteln der Flügel, das beim Fressen nicht aufhört, bringt ein Geräusch
hervor, welches ganz dem gleicht, das eine Heerde rupfender Schafe macht.
58. Die Kalmücken.
Die Kalmücken (zwischen dem asorvschen Meere und Astrachan) gehören wie
die Buräten in der Nähe von Irkutsk zu dem niongolischen Stamme und bekennen t