1865 -
Glogau
: Flemming
- Autor: Kriebitzsch, Karl Theodor
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
§ 5. Der Domplatz.
1. Der Domplatz, der schönste und größte freie Platz in der
Stadt, hat fünf Zugänge: die Burgtreppe im Osten, das Tränke-
thor und die Peterstrepp e im Norden, das Drachen loch im Westen,
den Zwicken im Süden. Er war mit den schönen und großen Häusern,
die ihn einschließen und die meist den Domherren zur Wohnung dienten,
der Anfang der Stadt; die weiteren Theile und Straßen entstanden nach
und nach später, die Borstädte am spätesten. Von den Mauern, die ihn
umgaben, steht noch ein großer Theil im lichten und düstern Graben
und am Gruden berge. Die Thore sind längst entfernt, aber in un-
ruhigen, kriegerischen Zeiten wurden die Zugänge noch später oft durch
große Ketten gesperrt.
2. Der Domplatz hieß ehemals die Burg (oder die Stadt), daher
der Name des Zugangs im Osten. Von hier an der Nordseite hingehend,
kommen wir zunächst an ein Haus, über dessen Thür eine Tafel hängt
mit den Worten:
Hier wohnte u. dichtete Joh. Wilh. Ludw. Gleim, gst. 18. Febr. 1803.
Das war seiner Zeit ein beliebter Dichter und edler Dichterfreund. Ihr
kennt wohl von ihm die Liedchen: eine kleine Biene flog — eine kleine
Wespe stach — gehörig aufgeschürzt, mit starken Schritten, den Milch-
topf auf dem Kopf, ging Martha nach der Stadt — eine faule Grille
sang — ein Esel trug einst eine große Last — da spielt ein Würmchen
um mich her —. Aber er hat auch Kriegslieder gedichtet aus die Siege
unsers Königs Friedrichs des Großen, des alten Fritzen, wie die Leute
ihn gewöhnlich nennen. In einem Saale jenes Hauses sind mehr als
hundert schöne Oelbilder, lauter Portraits berühmter Dichter und Fürsten,
die mit Gleim, von dem die Sammlung auch zwei große Portraits ent-
hält, in freundschaftlicher Verbindung gestanden. Darum hat Gleim selber
den Saal den Freundschaftstempel genannt. In einem Zimmer
daneben befinden sich die Briefe, die er mit seinen Freunden gewechselt,
sorgfältig gesammelt und nach Jahren und Namen zusammengebunden;
darunter mancher köstliche Schatz. Auch ein Hut, den der Dichter Klop-
slock getragen, wird gezeigt, u. a. m. In dem daran grenzenden Saal
ist Gleim's Bibliothek. An der Peterstreppe steht ein Haus, das er auch
besessen und lange bewohnt hat. — Wir kommen weiter zu mehreren
großen Gebäuden, die früher Wohnungen der Domherren waren; die
Buchstaben an den Thoren A. B. C. D. kennzeichnen sie noch als solche.
In dem Hause A. ist gegenwärtig das Appellationsgericht. Das ist
ein Gerichtshof, vor welchem größere streitige Sachen verhandelt und
entschieden werden, oft auch solche, über welche schon das niedere Gericht,
das Kreis- oder Land- und Stadtgericht, einen Spruch gefällt hat. Es
giebt solcher Gerichte bei uns (in unserer Provinz) drei, nämlich außer
Halberstadt in Magdeburg und Naumburg. — Wir kommen weiter zum
Tränkethor, durch welches das Vieh auf den Domplatz zur Tränke
geführt wurde, daher der Name. Die Peterstreppe hat ihren Namen