1865 -
Glogau
: Flemming
- Autor: Kriebitzsch, Karl Theodor
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Arzt wurde zu einer sterbenskranken Frau gerufen. Er fand die ganze
Familie um das Feuer des Heerdes versammelt, in ruhigster Fassung.
Der Mann wendete sich nach dem Eintretenden um: sie ist schon todt,
der liebe Gott muß sie doch lieber gehabt haben als ich. Das war
Alles. Ein lange und schwer Kranker, von dem besuchenden Arzt nach
seinem Ergehen befragt, antwortete lächelnd: machen Sie Sich mit mir
keine Mühe mehr, Herr Doctor, Sie sehen, ich habe ja die Reisestiefeln
schon an, und streckte ihm dabei die hochgeschwollenen Beine entgegen.
Blumen lieben und Pflegen die Leute sehr; bei jedem Haus und Hüttchen
findet sich ein Gärtchen, und von den vielen Blumen, die in allen Fenstern
stehen, werden die Stuben ganz dunkel.
11. Von Oldenburg nach Aurich, Norden, beides Orte im
Hannöverschen. Wir kommen auf diesem Wege durch ein großes Moor,
das Hochmoor, das größte im ganzen nördlichen Deutschland. Die
ganze Küste der Nordsee ist, wie die der Ostsee, mit Dünen bedeckt
(S. 54). Eine Wanderung auf ihnen ist nicht eben annehmlich. Man
hört keinen Laut als das Brausen des Meeres, das Anschlagen der Wellen
gegen das Sandufer. Man sieht wenig frisches munteres Grün, selten
ein Thier, selten ein Häuschen. Der geringste Lufthauck schon regt den
Sand auf, treibt ihn hoch und benimmt uns die Aussicht. Erhebt sich
aber gar ein starker Wind, so kann man kaum stehen, der Sand wirbelt
in allen Richtungen umher und peitscht uns empfindlich Gesicht und
Hände, und der Schaum des anstürmenden Meeres, der in Flocken
weiß wie Schnee in der Luft umherfliegt, überzieht uns in Kurzem ganz
mit Salz.
12. Der Küste der Nordsee sind von Holland bis zur Weser und
Elbe eine Menge kleiner Inseln vorgelagert, Wangeroge, Borkum,
Langeroge u. a. — Norderney, unser Reiseziel, ist eine derselben.
Sie haben wahrscheinlich vor Zeiten mit dem Festlande zusammengehangen
und das Meer hat sie davon abgerissen. Sie sind mehrere Stunden von
der Küste entfernt, sandig, unfruchtbar, von armen Hirten bewohnt. Der
Raum zwischen dem Festland und diesen Inseln wird, wenn die Ebbe
eintritt, trocken gelegt und heißt darum das Watt, die Watten, weil
man auf diesen Schlamm- und Sandbänken zur Zeit der Ebbe von einer
Insel zur andern durchwaten kann. Norderney (Eye — Auge — oge
in Wangeroge rc., also: Auge des Nordens) ist von der Stadt Norden
2 Stunden entfernt, 1 Meile lang und '/4 Meile breit, und auf 3 Seiten
von mehreren Dünenreihen begrenzt, zwischen denen kleine grüne Thäler
sich hinziehn. Die Menschen wohnen in einem einzigen Dorfe, das aus
3 Reihen reinlicher, freundlicher Häuser besteht, bei jedem ein Gärtchen.
Ueber den Häusern ragen die Dünen empor, bald schneeweiß, bald hell-
oder dunkelgrün gefärbt. Von diesen hat man eine herrliche Aussicht,
besonders von der sogenannten weißen Düne am östlichen Ende. Die
Insel ist berühmt und erhält im Sommer Besuch aus aller Welt wegen
ihres Seebades. Neben dem Kurhause befindet sich ein Garten, ein
Birkenwäldchen, eine Wiese, auf der Kühe und Schaafe weiden, eine
Allee. Das Meer reißt auch von dieser Insel (wie von Wangeroge