1856 -
Berlin
: Stubenrauch
- Autor: Wetzel, Friedrich, Richter, Carl, Menges, Heinrich, Menzel, J.
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
418
Reichsversammlung nichts ohne sein Wissen zu thun und einzuge-
hen. Hingegen reiste Melanchthon, Jonas, Spalatin und Agrikola
mit dem Kurfürsten nach Augsburg. Weil nun der Kaiser eine
Zeit verzog, so hatte Melanchthon, Luthers Freund und Genosse,
Zeit, das Glaubensbekenntniß, welches auf 28 Artikel angewach-
sen war, in eine gute Ordnung zu bringen. Endlich hielt auch
der Kaiser nebst einem unzähligen Gefolge seinen Einzug in
Augsburg.
Den Evangelischen wurde angedeutet, der Kaiser wolle ihr
Glaubensbekenntniß, wenn sie es ihm schriftlich überreichen wollten,
annehmen, worauf denn das Bekenntniß in's Reine gebracht und
unterschrieben wurde. Die Theologen erboten sich gegen den Kur-
fürsten von Sachsen, wenn er etwa bei ihnen zu stehen Bedenken
trüge, so wollten sie alleine vor den Kaiser treten und sich ver-
antworten. Dieser aber gab ihnen zur Antwort: „Das wolle
Gott nicht, daß ihr mich ausschließet; ich will Christum auch be-
kennen!" —
Da der päpstliche Legat gleich Anfangs in der Reichsver-
sammlung eine Rede hielt, die protestantischen Stände zu ermah-
nen, sich wieder zur römischen Kirche zu begeben; so standen die
evangelischen Fürsten auf und ersuchten den Kaiser, ihr Glaubens-
bekenntniß anzuhören, um diejenigen aus dem Irrthume zu brin-
gen, welche von ihrer Religion unrecht unterrichtet wären. Der
Kaiser gab endlich die Einwilligung.
Es versammelten sich daher am 25. Juni, Nachmittags 3 Uhr,
die Reichsstände auf dem Bischofshof, wo der Kaiser sein Quar-
tier hatte, in der Kapelle, darinnen sonst der Gottesdienst gehal-
ten wurde. Außer den Räthen der Fürsten und Herren wurde
Niemand weiter zugelassen.
Die beiden sächsischen Räthe, vr. Brück und vr. Veher, tra-
ten hierauf mitten in das Zimmer; jener hatte das lateinische
Exemplar des Bekenntnisses, dieser aber das deutsche in den Hän-
den. Der Kaiser verlangte das lateinische zu hören; aber der
Kurfürst von Sachsen sprach: „Da wir in deutschen Landen und
unter Deutschen sind, so hoffen wir, Kaiserliche Majestät werde
uns auch deutsch reden lassen." Endlich erlaubte dieses der Kai-
ser, und Di*. Beyer wußte so laut und deutlich zu lesen, daß man
nicht nur im Zimmer, sondern auch unten im Hofe, allwo Alles
voller Leute war, jedwedes Wort gar deutlich vernehmen konnte.
Die Vorlesung dauerte volle zwei Stunden. — Der Kaiser nahm
beide Exemplare selbst in die Hände. Das Bekenntniß war un-
terschrieben von dem Kurfürsten Johann von Sachsen, dem Mark-
grafen Georg Don Brandenburg, dem Herzoge Ernst von Lüne-
burg, dem Landgrafen Philipp von Hessen, dem Herzoge Johann
Friedrich von Sachsen, dem Herzoge Franz von Lüneburg, dem