1856 -
Berlin
: Stubenrauch
- Autor: Wetzel, Friedrich, Richter, Carl, Menges, Heinrich, Menzel, J.
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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tele er sich auf einen einsamen Landsitz und betete hier Tag und
Nacht znm Herrn. Dieser offenbarte ihm seinen Tod in einem
Traumgesicht. Er sah, daß sein Kopfkissen vom Feuer verzehrt
wurde, und den Sinn wohl verstehend, sprach er zu seinen be-
kümmerten Freunden: „Ich soll lebendig verbrannt werden." —
Als sein Aufenthalt verrathen wurde, floh er auf einen andern
Landsitz. Da die, welche ausgesendet waren, ihn aufzusuchen, ihn
nicht fanden, zwangen sie einen Diener durch die Folter, ihnen
den Aufenthaltsort seines Herrn anzugeben. Polycarpus befand
sich eben im oberen Stockwerk des Hauses, als seine Verfolger
erschienen. Noch hätte er sich retten können; aber er sprach voll
Ergebung: „Des Herrn Wille geschehe!" Freundlich redete er
mit seinen Verfolgern; ja eingedenk des Wortes: „So nun dei-
nen Feind hungert, so speise ihn, dürstet ihn, so tränke ihn", be-
fahl er, ihnen zu essen und zu trinken zu-geben und erbat von
ihnen nur noch die Gunst, ihm eine Stunde zum ruhigen Gebete
zu gönnen. Nun ward er auf einem Esel zur Stadt geführt.
Da begegnete ihm ein Polizeiaufseher und dessen Vater; die nah-
men ihn in ihren Wagen und suchten ihn zu bereden, Christum
zu verleugnen. Als er aber dessen sich weigerte, ergrimmten sie
und stießen den neunzigjährigen Greis mit Schimpfreden vom
Wagen, daß im Fallen sein Schenkel hart verletzt wurde. Still
ertrug Polycarpus den Schmerz. Unter wildem Getümmel des
Volkes begann das Verhör. Der Statthalter sprach: „Bedenke
dein hohes Alter; schwöre beim Kaiser, fluche nur Christo, und
ich lasse dich los." Aber der Greis antwortete mit tiefer Bewe-
gung: „Sechs und achtzig Jahre habe ich Ihm gedienet, und Er
hat mir nie etwas zu Leide gethan; wie sollte ich meinem Könige
fluchen, der mich selig gemacht hat?" — Dem Statthalter lag es
wirklich am Herzen, den Greis zu retten; er-sprach daher: „Ueber-
rede nur das Volk!" Aber Polycarpus sprach: „Dir war ich
schuldig, Rechenschaft abzulegen; denn wir sind gelehret, alle Obrig-
keit, die von Gott gesetzt ist, zu ehren, soweit das Gewissen es
erlaubt. Aber diese da halte ich nicht werth, vor ihnen mich zu
vertheidigen." „Ich habe wilde Thiere!" rief der nnn erzürnte
Richter. — „Laß sie kommen!" erwiederte der Märtyrer. — „Wir
haben auch Feuer!" schrie ein anderer. — „Du drohst mit einem
Feuer," eutgegnete der Glaubensheld, „welches nur einen Augen-
blick brennt; aber du weißt nichts von dem zukünftigen Gerichte
und von dem Feuer der ewigen Strafe, welches für die Gottlosen
aufbehalten ist. Aber warum zögerst du? Thue, was dir ge-
fällt." — Und schon schrie die ganze Menge in großer Wuth:
„Dieser ist der Lehrer von Asien, der Vater der Christen, der
Feind unserer Götter. Laß ihn verbrennen!" Von allen Seiten
trug das. wüthende Volk Brennholz herbei, und der Scheiterhaufen.