1868 -
Leipzig
: Arnoldi
- Autor: Otto, Christian Traugott
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 14
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Stadtschule, Landschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Landschule, Stadtschule
- Regionen (OPAC): Sachsen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Um seinen Schmerz zu mildern, erhob er sich nochmals von seinem
Lager, ging in der Stube auf und ab und betete: „In deine Hände
befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöset, Herr, du treuer Gott."
Bald klagte er über zunehmenden Schmerz; der Graf Albrecht und
dessen Gemahlin brachten ihm allerlei Erquickung, und es wurden zwei
Aerzte der Stadt gerufen. Alle Versuche blieben jedoch vergeblich, und
als sich die Krankheit mehrte, sprach der Kranke mit Andacht: „O
mein himmlischer Vater, mein Gott und Vater unsers Herrn Jesu
Christi, du Gott alles Trostes, ich danke dir, daß du mir deinen Sohn
Jesum Christum offenbaret hast, an den ich glaube, den ich gepredigt
und bekannt habe, den ich geliebt und gelobt habe, welchen alle Gott-
lose verfolgen und lästern. Ich bitte dich, Jesu Christe, laß dir meine
Seele befohlen sein. O himmlischer Vater, ob ich schon diesen Leib
lassen und aus diesem Leben hinweggeriffen werden muß, so weiß ich
doch gewiß, daß ich bei dir ewiglich bleiben soll, und aus deinen Händen
mich Niemand reißen kann." Nach diesem Gebet ward er still. Mau
rief ihn, aber er antwortete nicht. Da redete ihn D. Jonas mit lauter
Stimme an: „Ehrwürdiger Vater, wollt Ihr auf Christum und die
Lehre, die Ihr gepredigt, beständig sterben?" Er gab ein deutliches
Ja zur Antwort. Nun wandte er sich auf die rechte Seite, fing an zu
ruhen, holte sanft Athem und entschlief friedlich in dem Herrn; dieß
geschah des Morgens 2 Uhr am 18. Februar 1546, nachdem er
63 Jahre gelebt hatte. Vor Tagesanbruch erschienen 5 Grafen von
Mansfeld nebst andern vornehmen Personen, um den Entschlafenen
zu betrauern. Bis 9 Uhr ließ man ihn in seinem Sterbebette liegen;
varauf hüllte man ihn in ein weißes Gewand und legte ihn in einen
zinnernen Sarg. Am 19teu nachmittags 2 Uhr trug man die Leiche
mit großer Feierlichkeit und geistlichen Gesängen in die Hauptkirche.
Fürsten, Grafen und Herren sammt ihren Frauenzimmern und eine
große Anzahl Volks befanden sich im Zuge. v. Jonas hielt dem
Entschlafenen eine Leichenpredigt, worin er sagt, daß Martin Luther ein
trefflicher Redner, ein gewaltiger Dolmetscher der ganzen Bibel und
der Mann gewesen seh, von dem wir recht Deutsch reden und schreiben
gelernt. Die Nacht hindurch ließ man die Leiche in der Kirche stehen
und von 10 Bürgern bewachen.
Weil indeß der Churfürst von Sachsen verlangte, daß Luther in
Wittenberg begraben werden solle, so begleitete man den 20. Februar
die Leiche mit aller Ehrwürdigkeit und mit christlichen Gesängen aus
der Stadt Eisleben. In allen Orten, durch welche die Ueberreste des
Verklärten getragen wurden, läutete man die Glocken. Endlich kam
man am 22sten vor Wittenberg an. Am Thore standen sämmtliche
Professoren und Studenten, der Rath und die Bürgerschaft, die Pre-
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