1864 -
Breslau
: Leuckart
- Autor: Rendschmidt, Felix
- Hrsg.: Kühn, Franz
- Auflagennummer (WdK): 13
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Stadtschule, Landschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Katholische Landschule, Katholische Stadtschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
Das Christenthum in Deutschland. Bonifacius.
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die in Sitte und Lebensart wenig von einander abwichen. Oft
lagen sie mit einander in Streit, die schwächeren Stämme wurden
von den stärkeren bezwungen, unterworfen, und die Namen der-
selben verschwanden. Drohten äußere Feinde, so verbanden sich
Wohl mehrere Stämme zu gemeinsamer Abwehr derselben und es
entstand für die Nerbündeten ein gemeinsamer Name.
Die Deutschen hatten weder Dörfer noch Städte; weit zer-
streut lagen ihre Hütten, damit kein nahewohnender Nachbar die
über alles geschätzte ungebundene Freiheit störe. Ans rohen Baum-
stämmen war die Hütte erbaut, oben mit Zweigen und Laub küm-
merlich bedeckt. Wo es einem gefiel, da setzte er sie hin, an den
frischen, klaren Quell, in den stillen Hain, auf die luftige Höhe,
oder ins grüne, lachende Thal. Ringsum lag das Feld. Wilden
Spargel, ungewöhnlich große Rettige, unschmackhafte Baumfrüchte
brachte die Natur hervor, doch allmählig sing man an Gerste und
Hafer durch Kriegsgefangene anzubauen, und bereitete aus ersterer
den lieblichen Meth, ein berauschendes Getränk. Grasreiche Wei-
den nährten zahlreiche Rinderheerden, die fast undurchdringlichen
Wälder bargen außer Auerochsen, Elenn- und andern Thieren
auch eine Menge der größten Raubthiere: Bären, Wölfe und
Raubvögel ohne Zahl, gegen die der rüstige Deutsche in Zeiten
des Friedens seine Kampflust stillte. Wohnhaus und Ställe
umgab er gegen diese Räuber mit hohem Zaune und nannte sein
Besitzthum einen Hof. Hier war er allein Herr und Richter über
alle, die von seinem Gute lebten. Eine Anzahl solcher Höfe
nannte man einen Weiler, mehrere Weiler einen Gau.
Bei solcher Entfernung der Wohnplätze war die Gastfreund-
schaft eine der wichtigsten Tugenden. Freundlich wurde jeder,
wer er auch war, in der Hütte aufgenommen und mit Speise
und Trank erquickt. War der Borrath verzehrt, so zog der
Wirth mit seinem Gastfreunde weiter, und ungeladen traten
beide in die nächste Hütte. Neben der Gastfreundschaft war die
Treue eine der schönsten Tugenden. Das gegebene Wort
wurde unverbrüchlich gehalten, selbst der Todfeind war sicher
vor jeder Unbilde, wenn er einmal Aufnahme in der Hütte
gefunden hatte; damit man nie in Gefahr kam, einen abweisen
zu müssen, fragte man keinen, wer er sei. Diebstahl war eine
unbekannte Sache, ebenso Lüge und Trug.
Die Religion der alten Deutschen war sehr einfach. Alle
großartigen Erscheinungen der Natur, welche das menschliche
Gemüth zur Liebe und Dankbarkeit stimmen, oder mit unaussprech-
licher Furcht und Angst erfüllen, waren Gegenstand ihrer Ver-
ehrung. So die Sonne, deren Strahl die Eisrinde des langen
Winters bricht, den Frühling erweckt und neues Leben in die