1869 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Haesters, Albert, Bender, Ludwig
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Landschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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zu Wittenberg 95 Sätze (Thesen) in lateinischer Sprache an,
über die er die Gelehrten auf Grund der h. Schrift mit ihm zu dis-
putiren aufforderte. Darin hieß es: „Die werden sammt ihren Meistern
zum Teufel fahren, die da meinen, durch Ablaß ihrer Seligkeit gewiß
zu sein." Wie ein Blitz zündeten diese Sätze in aller Gemüther. Solche
Kühnheit erregte allgemeines Erstaunen, bei Vielen Freude und Hoffnung.
Desto ärger entbrannte nun aber auch der Zorn der Priester und
Mönche; Luther selbst erschrak über die gewaltige Bewegung, die seine
That hervorrief; weder er selbst, noch sonst Jemand ahnte es, daß
dies der Anfang der von den Völkern längst ersehnten
Kirchenverbesserung (Reformation) war.
Der Papst Leo, der anfangs die Aufregung nicht beachtet hatte,
forderte Luther bald vor seinen Richterstuhl nach Rom. Aber Friedrich
der Weise, der für den von ihm hochverehrten Mann Alles fürchtete,
erwirkte, daß er sich in Augsburg vor einem päpstlichen Gesandten
verantworten durfte. Hier forderte dieser nichts als Widerruf,
und den wollte Luther nicht leisten, bis man ihn aus dem Worte
Gottes des Irrthums überführt hätte; denn er habe aus Gottes
Wort die seligmachende Überzeugung gewonnen: der Mensch erlange
die Gerechtigkeit und Seligkeit Gottes allein durch den
Glauben an das vollgültige Verdienst unsers Herrn und
Heilandes Jesu Christi, welcher Glaube allein herzliche
Reue und Sinnesänderung (Buße, Bekehrung) schaffe.
Als Luther sah, daß der Papst für das Wort der Wahrheit kein
Ohr hatte, fing er an, des Papstthums göttliches Ansehen in
Zweifel zu ziehen. Am 15. Juni 1520 sprach der Papst den Bann-
fluch über ihn aus; aber Luther verbrannte öffentlich und feierlich
die Bannbulle vor dem Elsterthor zu Wittenberg, am 10. Dez.
1520, Vormittags 9 Uhr.
Is. Entwickelung der Reformation.
Unterdessen war Kaiser Maximilian (1519) gestorben, und sein
Enkel, Karl V., auf den deutschen Thron erhoben worden. Ihm
lag es am Herzen, die Glaubensspaltung in Deutschland zu beseitigen;
deshalb lud er Luther zur Verantwortung auf den Reichstag zu
Worms, und versprach ihm freies Geleit. Seine Freunde waren
besorgt; denn man dachte an das Schicksal des Huß. Luther aber
gehorchte, und ging nach Worms, obgleich er kaum von einem Fieber
genesen war. „Und wenn sie ein Feuer machten", sprach er, „zwischen
Wittenberg und Worms bis an den Himmel hinan, so wollte ich doch
im Namen des Herrn erscheinen, Christum bekennen, und denselben
walten lassen." Noch vor Worms sprach er zu seinem warnenden
Freunde Spalatin: „Nach Worms bin ich berufen, nach Worms
muß ich ziehen, und wenn auch so viel Teufel darinnen wären, als
Ziegel auf den Dächern, wollte ich doch hinein!" So zog Luther
den 16. April 1521 im offenen Wagen zu Worms ein, begleitet