1867 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Greef, Wilhelm, Haesters, Albert
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Evangelische Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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1. Der Blinde und der Lahme.
Von ungefähr muß einen Blinden ein Lahmer auf der Straße
finden. Sogleich hofft jener freudenvoll, daß ihn der Andre leiten
soll. „Dir," spricht der Lahme, „beizustehen? Ich armer Mann kann
selbst nicht gehen. Doch scheint's, daß du zu einer Last noch sehr
gesunde Schultern hast. Entschließe dich, mich fortzutragen, so will
ich dir die Stege sagen! Dann wird dein starker Fuß mein
Bein, mein Helles Aug' das deine sein." Der Lahme hängt
mit seinen Krücken sich aus des Blinden breiten Rücken. Vereint
wirkt jetzo dieses Paar, was einzeln keinem möglich war.
2. Die Finger.
Die Finger zankten hin und her, wer doch der Wichtigste wohl
wär'. „Still da, der Stärkste der bin ich! Ihr seid nichts nütze
ohne mich! Mehr, als ihr vier, thu' ich allein! Drum muß ich Euer
König sein!" So schrie der Daumen Schon geringer erhob die Stimm'
der Zeigefinger: „Die gröbsten und die feinsten Sachen kann ich
allein am besten machen! Der Fleißigste und Tüchtigste bin ich, und
drum der Wichtigste!" — Der Mittelfinger rief: „Lernt Sitte!
Als Herr steh' ich in Eurer Mitte! Ich bin der Längste und der
Größte, und darum auch der Allerbeste!" — Da sagte der Goldfinger:
„Seht, ich merke, daß ihr nichts versteht! Mich schmücken Gold und
Edelstein; drum muß ich mehr, als ihr doch sein!" — Der kleine
Finger stille schwieg und mischte nicht sich in den Krieg. Da riefen
ihm die andern zu: „Sprich doch! Was nützest denn nur du?" —
Er sprach: „Geschaffen hat mich Gott, wie euch — doch nicht zu
eurem Spott! Der mich gebildet, wird auch wissen, wozu ich werde
nützen müssen! Er hat ja Alles in der Welt auf seinen rech-
ten Platz gestellt! Wer thut und leistet, was er kann,
was Gott will, der hat recht gethan!" —
Die Andern hörten, was er sprach, und dachten wohl darüber
nach; still überlegten sie es sich und sprachen dann einmüthiglich: „Hast
wahr gesprochen, lieber Kleiner! Du bist so gut, als unser einer!" —
3. Der Habenichts.
Vor vielen hundert Jahren lebte der Ritter Walter von Habe-
nichts. Von diesem stammt die große Familie der Habenichtse ab,
welche in der ganzen Welt zerstreut ist. Ganz nahe verwandt mit
dieser Familie sind die Taugenichtse; mancher junge Habenichts wird
ein alter Taugenichts, und mancher junge Taugenichts wird ein alter
Habenichts. Hört nur einige Geschichten von den Habenichtsen.
Ein junger Habenichts von sieben Jahren erhielt, wie seine übri-
gen Geschwister, eine Sparbüchse zum Geschenk. Dabei versprach
ihnen der Vater, so oft ein Kind unbefohlen etwas Nützliches im Hause
verrichte, ihm einen Kreuzer zu geben. Mit diesen Kreuzern sollten