1863 -
Leipzig
: Amelang
- Hrsg.: ,, Fix, Wilhelm
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Regionen (OPAC): Preußen
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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268. Vom Kaiser Karl.
1.
Kaiser Karl, der der Große genannt wird, war nicht bloß ein
gewaltiger Kriegsheld, sondern anch ein gar frommer Mann. Er
stiftete viele Kirchen und Schulen und setzte in allen Gegenden seines
großen Reiches Geistliche und Lehrer ein, die das Volk unterwiesen in
Gottes Wort und die Kinder im Lesen, Schreiben und nützlichen Kennt-
nissen unterrichteten. Auch in der Stadt Paris hatte er eine Schule
gegründet, in welche er nicht bloß die Söhne seiner obersten Hofbeam-
ten, sondern auch arme Kinder aufnehmen ließ. Als er einmal wieder
in diese Stadt kam, ging er selbst in die Schule, um zu sehen, ob flei-
ßig darin gelernt würde. Da fand er denn, daß die Söhne der Bür-
ger und Bauern die der Adeligen an Geschicklichkeit weit übertrafen.
Jene stellte er an seine rechte Seite und sprach zu ihnen: „Wohlan,
ihr Jünglinge, fahret so fort, wie ihr angefangen habt, so will ich euch
vor Andern werth halten. Ich will aus euch Stiftsherren, Bischöfe
und Päpste machen; ihr sollt über Land und Leute regieren!" Aber
die Ungeschickten stellte er an seine linke Seite und sprach: „Ihr Zärt-
linge, die ihr mit gekräuselten Haaren umhergeht und euch auf eurer
Eltern Reichthum verlasset, die ihr dem Müßiggänge nachhänget und
meinen Befehl nicht achtet, — ihr seid mir nicht gut genug; euch
sollen diese Armen vorgezogen werden! Doch wenn ihr es den Fleißi-
gen gleich thun werdet, will ich eures Standes wegen auch auf euch
sehen!"
2.
Kaiser Karl hielt nichts auf Flitterstaat und meinte, der Wolfs-
pelz stehe gut zu seiner kaiserlichen Majestät. Aber die Herren an
seinem Hofe hatten von wälschen Kaufleuten seidene Kleider gekauft
und gefielen sich gar wohl darin. Das verdroß den Kaiser, denn er
mochte das fremde Wesen nicht leiben. Eines Tages, als alle Hof-
leute wieder in der Hofburg versammelt waren, rief er den Knechten
hinaus: „Blaset in die Hörner, lasset die Hunde los, die Gäule
heraus! Wir wollen auf die Jagd!" Und voran im Wolfspelz der
Kaiser, die Herren im feinen Putze hinterher. So ging's im vollen
Jagen in den wilden Eichensorst hinein und in Einem fort durch Dick
und Dünn, über Steine und Hecken, daß bald hie und bald da an
den Dornen seidene Fetzen hängen blieben. Dabei kam ein Regen
vom Himmel, und die alten Eichen seufzten im Sturme, und die jun-
gen Herren auch. Aber der Kaiser that, als ob er es nicht-merke, und
erst als es Nacht war, ließ er zum Heimzug blasen. Er ritt zur Hof-
burg zurück, führte Alle in den Saal und schüttelte seinen Wolfspelz