1862 -
Hannover
: Meyer
- Autor: Flügge, Heinrich Friedrich
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Regionen (OPAC): Hannover
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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der Gicht in einem Dachstüblein und hatte niemand als eine alte
Ausläuferin, die sich des Tages zwei- oder dreimal nach ihm um-
schaute. Und als er zuletzt auch von seinem alten Rittermantel die
goldenen Spangen, Haken und Schnüre verkaufen mußte, gerieth er
in schwere Sorgen. An demselben Tage noch kam ein unbekannter
Mann an sein Bett, der wie ein Diener eines großen Herrn aussah,
und stumm schien, weil er weder mit einem Worte grüßte, noch aus
eine Frage Antwort gab, sondern jedesmal seinen Finger fest auf
die Lippen drückte, womit er andeuten wollte, daß ihm sein Mund
verschlossen sei. Der hatte ein schneeweißes Damasttuch an den vier
Zipfeln in der Hand und in dem Tuche eine silberne Schüssel, die
er mit der Speise darin auf das Tischlein neben dem Bette stellte,
worauf er wieder ging, ohne zu sagen, woher oder wohin. Der
Edelmann verwunderte sich sehr, noch mehr aber, als der Mann
auch am folgenden Tage und ferner die ganze Woche und endlich
die etlichen Jahre wieder kam, die der Edelmann noch lebte, und
einen Mittag wie den andern eine volle Schüssel brachte und die leere
dagegen holte. Und ist nicht auszusprechen, welch herzliches Verlan-
gen der Edelmann hatte, seinen unbekannten Wohlthäter kennen zu
lernen imd ihm zu danken, so daß er endlich zu dem Diener sprach:
Sagt euerm Herrn, daß mein Ende nahe ist, daß ich aber nicht ruhig
sterben kann, ich habe denn zuvor meinem Wohlthäter die Hand ge-
drückt und mich bedankt. Da nickte der alte Diener beifällig mit
dem Kopfe, und noch denselben Abend erschien der Erzherzog Albrecht
an dem Bette des Edelmanns , der die Hand seines Wohlthäters mit
Dankesthränen benetzte und etliche Stunden darauf fröhlich von hinnen
schied.
Uns Menschenkindern aber ist der Wohlthäter nicht unbekannt,
der uns so viele Jahre her aus seiner Küche eine Schüssel um die
andre zugeschickt, vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben
und unsre Herzen erfüllet hat mit Speise und Freude. Und doch
ist es manch einem zu viel, zu einem Tischgebet seinen Kopfdeckel zu
rücken.
49. Was uns der Herbst predigt.
Was ist doch das Laub der Bäume auf unserm Kirchhofe in
den letzten Wochen gelb geworden! Wie viele Blätter liegen schon
unten und werden vertreten! Und wie es auf unserm Friedhofe
ist, so ist es rings um uns her. — Einem Kranken fährt oft in
feinen letzten Tagen noch einmal eine Nöthe auf die Wangen; ein
Licht flackert noch einmal auf; dann geht es aber mit beiden um
so schneller zu Ende. So stellt sich "auch das Laub am Baume
noch einmal im schönsten Schmucke dar; aber die schönen Farben
sind schon im Sterben. Der Tod lauert dahinter. In kurzem ist
alles Staub und Verwesung. Was will uns der Herr damit sagen?
„Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras; er blühet, wie eine Blume
aus dem Felde. Wenn der Wind darüber gehet, so ist sie nimmer
da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr." Verstehst du diese