1862 -
Hannover
: Meyer
- Autor: Flügge, Heinrich Friedrich
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Regionen (OPAC): Hannover
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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104. Mein Nächster.
In dem Badeorte Schwalbach war im Jahre 1839 ein öster-
reichischer Officier angekommen, um gegen seine alten Leiden dort
Heilung zu suchen. Aber die Hauseigenthümer mochten ihn nicht gern
aufnehmen, denn er sah aus wie eine Leiche, und kein Wirt hat gern
einen Sterbenden in Quartier, weils leicht Schaden abseüt und um
Kundschaft bringt. Als der Kranke aus dem Wagen, in welchen! er
langsames Schrittes angefahren kam, herausgehoben wurde, erklärte
der Wirt zum blauen Lamm, vor dessen Hause der Kutscher hielt: er
bedaure, kein Zimmer mehr zu haben. Der Mann bat, zeigte seine
volle Börse, wollte doppelt zahlen, — alles umsonst. Da tritt ein Be-
wohner desselben Wirtshauses an den Wagen und spricht zum Wirte:
„Der Mann dort ist inein naher Verwandter und soll hier bleiben; ich
theile mein Zimmer mit ihm; er schläft in meinem Bette, und ich liege
auf dem Kanapee." Dagegen darf der Wirt nichts sagen, und der
Kranke, halb bewußtlos, wird ins Bett gebracht.
Als er erwacht, fragt er den Samariter, der sein Zimruer mit
ihm getheilt: „Aber sie sagten vorher, sie seien mein Verwandter;
wie heißen sie denn?" „Thut nichts," erwiderte der Samariter. „Ich
diene dem Herrn Jesu; der lehrt mich, wer mein Nächster ist; und
mein Nächster ist mein Bruder. Was gehts sie an, wie ich heiße;
ich frage nicht, wie sie heißen, sondern wo ich helfen kann." —Der
Kranke schläft ein und schließt seine Augen so schnell, daß nur eine
Thräne noch Raum hat, eben durchzuschlüpfen, und noch halb zer-
drückt wird. Die ersten Gläser des heilsamen Wassers von Schwal-
bach mußte der Kranke im Bette trinken, die ersten Bäder im Zimmer
nehmen. Der Samariter ist sein Bademeister und Wärter und hat
viel Trinkgeld bekommen, denn der Officier bessert sich von Tag zu
Tag, und in die Gläser und in die Bäder goß sein Wärter noch be-
sondere Heilkräfte, denn er verkündigte ihm dabei Jesum Christum,
den Heiland aller Sünder. Und als zehn Tage um waren oder zwölf,
saß der Kranke an der Quelle, oder stieg allein hinab in die Bäder;
und als vier Wochen um waren, war er geheilt, geheilt an Leib und
Seele, und das Wort des Samariters: „Der Mann dort ist mein naher
Verwandter," war zur vollen Wahrheit geworden, denn er war sein
Bruder in Christo.
Unter der Samaritergeschichte im Evangelium aber steht: So
gehe denn hin und thue desgleichen.
Frommer Mann hilft, wo er kann. Wie der Acker, so
das Getreide; wie die Wiese, so die Weide; wie der Herr, so
der Knecht; wie der Kriegsmann, so das Gefecht. Wie der
Baum, so die Frucht. Gemalte Blumen riechen nicht. Willig
Herz macht leichte Füße.
105. Selber essen macht fett.
Ist es dir so ums Fettwerden zu thun? Ach, das Pförtlein
ist so enge, das zum Leben führt, daß Leute, die nur sich alles auf-