1815 -
Halle
: Kümmel
- Autor: Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
I. Erzahlmigcn
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Wilhelm merkte immer genau darauf, welche Feh-
ler jemand an sich hatte, und spottete darüber. Bald
machte er dem kleinen Karl sein Stammeln nach, bald
sprach er wie Friedrich durch dienase, bald hinkte er wie
Goulieb, bald hielt er sich darüber auf, wenn jemand ein
Versehen in seinen Arbeiten gemacht hatte, und erwähn-
le cs viele Tage lang. O, wie vielen Verdruß machte
Wilhelm seinen Mitschülern! Oft trieb er es so arg, daß
sie darüber weinen mußten.
Sein Lehrer bar ihn liebreich, er möchte sich doch
Mühe geben, diesen häßlichen Fehler abzulegen, und da
das nicht bei ihm fruchtete, so wurde Wilhelm einigemal
derb gezüchtigt. Aber auch das half nicht. Wilhelm
wurde nun zwar etwas behutsamer, und nahm sich in
Acht, daß sein Lehrer nichts erfuhr, aber im Grunde
war er um nichts besser geworden. Wilhelm hatte mit
seinen Mitschülern beständigen Zwist, und alle waren ihm
gram; ja einigemal war es bis dahin gekommen, daß sie
ihn derb ausgeprügelt hatten. Das alles machte den thö-
richten Knaben nicht klüger.
Eines Tages verspottete er einen größern und stär-
keren Knaben, den seine Mutter über einer Näscherei
beim Honiglopf ertappt, und mit einigen Ohrfeigen be-
straft hatte. „Du,-* sagte er, „schmeckten dir die Ohr-
feigen gestern auch so gut, als der Honig? " — Der
beleidigte Knabe wurde aufgebracht, und wollte Wilhel-
men schlagen. Dieser suchte sich durch Laufen zu retten,
und da er eben an einer steinernen Treppe war, so hätte
ihn jener fast eingeholt. Schnell wollte Wilhelm die
Stufen hinunter — er versah es, fiel die Treppe in der
Eil herab, und brach das Dein.
Der unglückliche Knabe mußte nach Hause getragen
werden. Hier mußte er vier lange schmerzhafte Wochen
aushalten^ ehe er nur den Fuß ein wenig bewegen durfte,
und ehe er wieder ausgehen konnte, dauerte es wohl noch
dreimal so lange. „Sieh, wie viel Noth du dir durch
deinen Fehler machst, und wie viel Sorge und Kummer
und Geldausgaben wir davon haben, sagten die Ettern.
Wenn du nun nicht einsehen lernst, was das für ein elen-
des Vergnügen ist, Anderer Fehler und Gebrechen zu